Wurde zu spät gewarnt?
Der „kalte Tropfen“ schlägt zu – 95 Tote
Aktualisiert am 31.10.2024 – 02:03 UhrLesedauer: 3 Min.
Die schweren Unwetter in Spanien haben viele Tote gefordert. Ursache ist ein besonderes Wetterphänomen. Nun beginnt die Suche nach den Schuldigen.
Bei schweren Unwettern in der Region Valencia sind in Spanien mindestens 95 Menschen ums Leben gekommen. Zahlreiche werden noch vermisst. Straßen und kleinere Brücken brachen weg, Bäume, Autos und auch große Lastwagen wurden von den Wassermassen wie Spielzeug mitgerissen. Neben heftigem Regen gab es Hagel und starke Windböen. Aus der andalusischen Küstenortschaft El Ejido unweit von Almería berichteten Einwohner von Hagelkörnern „so groß wie Golfbälle“.
Die Schilderungen von Augenzeugen, die aus den Fluten gerettet werden konnten, sind dramatisch. Auch eine Reporterin des spanischen Senders RTVE beschrieb die Situation vor Ort, sie sprach von „kriegsähnlichen Zuständen“ in den betroffenen Regionen.
Wie aber konnte es zu den plötzlichen Fluten kommen, von denen offenbar auch die Behörden in Spanien überrascht wurden? Das Phänomen, das sich dahinter verbirgt, nennt sich „kalter Tropfen“, im spanischen „gota fría“.
Es handelt sich um ein Wetterphänomen, das besonders im Frühherbst in der Region des westlichen Mittelmeers auftritt, etwa in Spanien. Dabei handelt es sich um ein isoliertes Gebiet kalter Polarluft in großer Höhe – oft fünf bis zehn Kilometer über dem Meer –, das als „Dana“ bezeichnet wird. „Dana“ steht für depresión aislada en niveles altos, was übersetzt „isoliertes Tief in hohen Schichten“ bedeutet.
Dieses Höhentief schwebt in der Atmosphäre wie ein „kalter Tropfen“, ohne Verbindung zu Bodenwetterfronten. Das Phänomen ist für Meteorologen nur schwer vorherzusagen. In einigen Gemeinden in Spanien sind in den vergangenen Tagen mehr als 500 Liter pro Quadratmeter Regen heruntergekommen, wie der spanische Wetterdienst mitteilte.
Die Entstehung einer solchen „Dana“ ist komplex. Eine wichtige Rolle spielt der Jetstream, ein starker Windstrom in großen Höhen. Drückt dieser die kalte Polarluft zu weit nach Süden, kann sich eine Luftblase abtrennen – ein sogenanntes „cut-off low“ oder „Kaltlufttropfen“. Dadurch entsteht ein Sog, der die feuchtwarme Luft wie ein Schwamm anzieht. In Spanien sind die klimatischen und geografischen Bedingungen dafür günstig, weil das immer noch sommerlich warme Mittelmeer den Aufstieg feuchter Luftmassen fördert.
Im aktuellen Fall sei das Mittelmeer immer noch „rekordwarm“ gewesen, sagt die Meteorologin und t-online-Expertin Michaela Koschak. Das habe die Entstehung des Kaltlufttropfens enorm begünstigt. Zudem habe sich das Tiefdruckgebiet kaum von der Stelle bewegt. „Die Folgen sind zerstörerisch“, erklärt Koschak.
Unterdessen hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen. Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der „Dana“ oder des „kalten Tropfens“ gefährlich sei.
Die Regionalregierung und auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche „brutalen Folgen“ nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert.
Aemet sprach von einem „historischen Unwetter“. Demnach fielen in einigen Ortschaften innerhalb eines Tages bis zu 490 Liter Regen pro Quadratmeter, so viel wie sonst in einem Jahr. Es habe sich um den schlimmsten „Kalten Tropfen“ (gota fría) dieses Jahrhunderts in Valencia gehandelt, hieß es auf X.