Wenn Senioren allein, die Kinder längst aus dem Haus und die Vermögenswerte hoch sind, kann dies Erbschleicher auf den Plan rufen. Diese nutzen die Einsamkeit ihrer Opfer aus.
Im Herbst des Lebens sehnen sich viele Menschen nach Gesellschaft, Zuneigung und Liebe. Doch diese Sehnsucht kann sie auch in die Arme von Betrügern treiben, die nur ein Ziel haben: das Erbe ihrer Opfer.
Ein Fall aus dem Jahr 2017 in Frankfurt: Ein 52-jähriger Mann schlicht sich in das Herz einer sterbenden Witwe. Er erbrachte keine Leistung, in dem Sinne, dass er sie aktiv pflegte, aber überredete sie kurz vor ihrem Ableben, ihm eine Vollmacht zu erteilen und ihr Testament zu seinen Gunsten zu ändern.
Dieser Fall ist kein Einzelfall. „Die Problematik wächst jedes Jahr“, erklärt Jan Bittler, Rechtsanwalt und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im Deutschen Anwaltverein, t-online. Erbschleicherei zu erkennen und zu bestrafen, ist aber nur selten möglich. „Erbschleicherei ist eine Grauzone. Den Tatbestand gibt es juristisch gesehen gar nicht. Der Begriff legt ja schon nahe, dass sich jemand als Erbe in ein Testament einschleicht“, so Bittler.
Was allerdings strafrechtlich verfolgt werden kann, sind Drohungen oder Nötigung. Wenn ein älter Mensch beispielsweise nach dem Motto bedroht wird: „Du setzt mich jetzt als Alleinerben ein oder ich pflege dich nicht mehr“, erklärt Bittler. Solche Fälle von Erbschleicherei passieren häufig im Kreis der Familie, wo große Nähe herrscht.
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Ein familienfremder Erbschleicher muss diese Nähe erst einmal herstellen. Bittler erläutert: „Dabei nutzt er folgende Taktik: Anschleichen, abschirmen, abzocken“. Das laufe so ab, dass „ertragreiche und alleinstehende ältere Menschen identifiziert und mit Hilfe, Pflegeversprechen und falscher Liebe umgarnt werden“.
Dann beginnt die Abzocke: Erbschleicher schaffen es, der Verwandtschaft oder alten Freunden Hausverbote zu erteilen. Sie holen sich Vollmachten ein, um über den Besitz des Seniors verfügen zu können, und verkaufen womöglich schon vor dessen Ableben Teile davon. Der Gipfel ist, dass sich Erbschleicher als Alleinerben im Testament einsetzen lassen.
Um sich vor diesen perfiden Betrügern zu schützen, ist es wichtig, vorzubeugen. Dies kann laut Bittler durch eine emotionale Absicherung geschehen. „Die wichtigste Maßnahme ist, eine gute Beziehung zueinander zu haben und regelmäßig Kontakt zu halten. Und damit meine ich nicht, einmal im Jahr an Weihnachten beim Opa zu erscheinen, wenn es Geschenke gibt“, so Bittler.
Regelmäßiger Kontakt könne wie ein Frühwarnsystem funktionieren. Wenn Eltern und Großeltern auffällig oft von netten, bisher unbekannten Besuchern erzählen oder plötzlich keine vertrauten Familienmitglieder mehr sehen wollen, sollte man misstrauisch werden.
Aber auch der Erblassende (derjenige, der ein Erbe hinterlässt) kann sich und sein Vermögen schützen, indem er zum Beispiel seinen Kindern schon zu Lebzeiten eine Immobilie überträgt. Schützen kann man sich auch mit einem Testament, das handschriftlich oder von einem Notar verfasst werden kann.
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In Deutschland gibt es keine Erhebungen zu diesem Thema. Interessant sind aber Daten aus der Schweiz. Hier führte das Kriminologische Institut der Fachhochschule Westschweiz im Auftrag des Vereins Pro Senecute 2018 eine repräsentative Untersuchung zum Umfang des finanziellen Missbrauchs älterer Menschen durch. Die Wissenschaftler befragten 1.257 Menschen im Alter ab 55 Jahren und kamen zu dem Ergebnis, dass in der Schweiz jährlich ein Schaden von 420 Millionen Franken durch finanziellen Missbrauch entsteht.
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Besonders gefährdet seien hochbetagte Senioren, die über 85 Jahre alt sind. In dieser Gruppe war jeder Zehnte von finanziellem Missbrauch im privaten Umfeld betroffen, also rund 40.000 Senioren. Übertragen auf Deutschland ergäbe das rund 230.000 Betroffene allein bei den Hochbetagten.