Jens Spahn ist prominent, ambitioniert – und umstritten. Selbst in seiner CDU. Welche Rolle spielt er für Friedrich Merz in einer schwarz-roten Koalition?
Jens Spahn sieht glücklich aus. Er lässt seinen Blick durch die Stuhlreihen wandern, in denen sich an diesem Mittwochmorgen im Bundestag ungewöhnlich viele Journalisten niedergelassen haben. Er sagt, dass er sich freue über das große Interesse in der vorösterlichen Zeit. Das sei übrigens das regelmäßige Hintergrundgespräch, das er als Fraktionsvize für Wirtschaft und Energie mache. „Bevor die Ersten schon wieder anfangen, irgendwas zu interpretieren.“ Und dann lächelt er.
Es gehört zum politischen Spiel, über die eigenen Ambitionen möglichst mit augenzwinkernder Uneindeutigkeit zu sprechen. Nichts ausschließen, aber sich auch nicht aufdrängen. Könnte sonst so wirken, als hätte man es nötig.
Insofern ist dieser Mittwoch im Bundestag natürlich ein wohlkalkulierter Auftritt. Fast das gesamte politische Berlin ist im Osterurlaub. Jens Spahn lädt die Hauptstadtpresse ein. Bundestag statt Badestrand. Das macht nur jemand, der noch etwas vorhat, was in der Politik eben meistens heißt: noch etwas werden will. Amt bringt Einfluss. Und was das angeht, haben sich die Aussichten von Jens Spahn zuletzt noch mal verbessert.
Jens Spahn ist erst 44 Jahre alt, sitzt aber schon seit 2002 im Bundestag, seit 23 Jahren, mehr als die Hälfte seines Lebens. Er war schon Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, seit 2015 war er das, und dann in der letzten Großen Koalition unter Angela Merkel Gesundheitsminister, als die Corona-Pandemie ausbrach.
Spahn ist seit Jahren einer der lautesten CDU-Politiker, was ihn bei einigen, aber längst nicht bei allen beliebt macht. Zu große Ambitionen wecken in der Politik oft Misstrauen, die manchmal nötige Rücksichtslosigkeit schafft Gegner. Hinzu kommt, dass Spahn die CDU in einer Art von der Merkel-Ära abgrenzen und nach rechts verschieben will, die liberalere Konservative eher verstört als begeistert. Sein jüngster Vorstoß, die AfD im Bundestag wie jede andere Oppositionspartei zu behandeln, ist da nur eines von vielen Beispielen.
Auch Friedrich Merz sind Jens Spahns Ambitionen nicht immer ganz geheuer, heißt es. Vor allem soll Merz Sorge bereiten, dass er glaubt, ihn nicht unter Kontrolle halten zu können. Zugleich hat Spahn aus Merz‘ Sicht wohl zu viele Anhänger, um ihn bei der Verteilung der Posten leer ausgehen zu lassen.
Vor Monaten machte in Berlin das Gerücht die Runde, Spahn solle Botschafter in den USA werden. Passend erschien das vielen, weil Spahn enge Beziehungen zum früheren US-Botschafter in Berlin und Trump-Vertrauten Richard Grenell pflegt und oft den Republikaner-Versteher gab. Eine hübsche Geschichte war es auch deshalb, weil es einen ganzen Ozean zwischen Spahn und Merz gebracht hätte. Der Botschafterposten entsprach aber offenkundig nicht Spahns Ambitionen. Sein Umfeld dementierte.
Inzwischen wird Jens Spahn vor allem für zwei Ämter gehandelt: für den des Fraktionschefs der Union – und den des Wirtschaftsministers. Lieber noch als Minister unter Merz würde Spahn angeblich Vorsitzender der Bundestagsfraktion werden. Es gibt einiges, was aus seiner Sicht dafürspräche.
Spahn wäre als Fraktionschef freier, was seinem politischen Wesen entsprechen dürfte. Er unterläge nicht der Kabinettsdisziplin, sondern wäre Chef einer selbstbewussten Bundestagsfraktion. Die kann in Regierungszeiten ihre Rolle auch immer so interpretieren, Korrektiv des Kabinetts zu sein, Kompromisse zu hinterfragen. Was für den Fraktionschef Gelegenheit bietet, sich zu profilieren, eigene Pläne zu verfolgen.
Das alles könnten aber genau die Gründe sein, aus denen Friedrich Merz Jens Spahn nicht so gerne zum Fraktionschef machen möchte. Ein schlecht kontrollierbarer Konkurrent, der weiß, wie Öffentlichkeit funktioniert? Könnte ungemütlich werden. Und gefährlich.
Für Jens Spahn trifft es sich deshalb gut, dass sich Anfang der Woche einer der Anwärter selbst aus der Konkurrenz genommen hat: sein politischer Freund Carsten Linnemann. Genau wie Spahn ist Linnemann zuvor als Wirtschaftsminister, aber eben auch als potenzieller Fraktionschef gehandelt worden. Jetzt aber will Linnemann Generalsekretär bleiben.