Die Fälle mentaler Erkrankungen wie Depression oder Angststörung steigen. In der Arbeitswelt wird häufig von Burnout gesprochen. Warum tun sich Menschen dauerhafte Erschöpfung an und wie kann ein gesundes Arbeitsumfeld aussehen?
Auch wenn psychische Erkrankungen meist nicht nur durch ein ungesundes Arbeitsumfeld ausgelöst werden, so hat dieses doch einen erheblichen Einfluss auf die mentale Gesundheit von Arbeitnehmern.
Wer sich langfristigen Belastungen durch die Arbeit aussetzt, erhöht laut Landesinstitut für Arbeitsgestaltung NRW das Risiko um 50 Prozent, an einer Angststörung oder Depression zu erkranken. Andere Faktoren wie der persönliche Lebensstil werden in diese Rechnung bereits einbezogen.
„Ein besserer Wissensstand zur Erkrankung in Unternehmen könnte viel Leid bei betroffenen Arbeitnehmern und immense Kosten für Arbeitgeber vermeiden.“ Zu diesen Ergebnissen ist das Deutschland-Barometer 2021 gekommen. Demzufolge ist oder war jede fünfte Beschäftigte bereits einmal an einer Depression erkrankt. Warum ist das so?
Angststörungen und Depressionen sind die am weitesten verbreiteten mentalen Erkrankungen in Deutschland. Betroffene fühlten „sich völlig erschöpft und durch die Arbeit überfordert“. Häufig werde die Überforderung fälschlicherweise als Ursache und nicht als Folge der Depression angesehen, meint Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.
Hegerl weist aber darauf hin, dass psychische Störungen auch aus individuell verschiedenen Einflussfaktoren entstehen. Dazu gehören etwa:
- die biologische Veranlagung,
- psychologische Einflüsse wie Traumata,
- soziale Aspekte wie das persönliche Umfeld oder
- konstanter Stress, der einen chronischen, mentalen Erschöpfungszustand auslösen kann.
Die Arbeitswelt spielt dennoch eine Rolle für die mentale Gesundheit. Schließlich verbringen viele Menschen einen wesentlichen Teil ihrer Zeit mit Arbeit. Sie kann sinnstiftend sein und Freude bringen, sie strukturiert den Tag, bringt Menschen zusammen und sichert Existenzen.
Sie bringt aber häufig auch innere Stressverstärker mit sich, die sich negativ auf die mentale Gesundheit auswirken können. Der BKK Dachverband hat in seiner Praxishilfe aufgeschlüsselt, welche persönlichen Eigenschaften und Muster im Arbeitsalltag stressverstärkend wirken und eine mentale Erkrankung auslösen können:
- Ungeduld und starkes Streben nach Perfektion
- Eigene Leistungsgrenzen ignorieren oder nicht akzeptieren
- Hilfe nicht einfordern oder annehmen können
- Das Gefühl, unentbehrlich zu sein
- Starkes Bedürfnis nach Harmonie
- Das Bedürfnis, Kontrolle zu bewahren und Dinge allein machen wollen
- Von der Zuwendung anderer abhängig sein
Zudem sind äußere Einflüsse wie Zeitdruck, Arbeitsunterbrechungen oder soziale Konflikte mit Kollegen enorme psychische Belastungsfaktoren. Neben zu herausfordernden Arbeitsinhalten können auch zu lange Arbeitszeiten oder neue, flexiblere Arbeitsformen weitere Risikofaktoren für die psychische Gesundheit darstellen.
Im Gegensatz zu einem schlechten Tag auf der Arbeit, den wohl die meisten hin und wieder einmal erleben, lässt sich eine Depression als psychische Störung medizinisch eindeutig abgrenzen. Folgende Anzeichen einer mentalen Erkrankung sollten daher nicht ignoriert werden, insbesondere wenn sie über einen längeren Zeitraum von mindestens zwei Wochen auftreten:
- Fehlende Motivation, Konzentrationsprobleme und sinkende Leistungsfähigkeit
- Mangelndes Zeitmanagement und Schwierigkeiten, am Arbeitsalltag teilzunehmen
- Selbstzweifel und Angst vor Kritik und schlechten Leistungen
Ging man im 19. Jahrhundert noch davon, dass vor allem Frauen unter psychischen Erkrankungen, sogenannter „Hysterie“ oder Nervenzusammenbrüchen leiden würden, zeigen heutige Erkenntnisse: Männer und Frauen erkranken in etwa gleich häufig an psychischen Störungen.
Es lassen sich trotzdem Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit Blick auf die mentale Gesundheit feststellen. So sind Frauen laut BKK Dachverband eher von Depressionen, Angst- und Essstörungen betroffen. Männer hingegen leiden häufiger unter Drogenabhängigkeit oder Persönlichkeitsstörungen.
Zudem gehen Männer und Frauen unterschiedlich mit der eigenen Gesundheit um. Männer nehmen gesundheitliche Warnsignale des Körpers später wahr als Frauen und brauchen länger, um sich selbst Hilfe zu suchen.
Zum anderen fällt es möglicherweise mehr Männern schwerer, sich eigene „Schwächen“ einzugestehen.
Die Folgen vermeintlich männlicher Attribute wie Stärke oder Widerstandsfähigkeit – die insbesondere in der noch immer überwiegend von Männern geführten Arbeitswelt hochangesehen scheinen – sind vielfältig: Sie reichen von zu spät gestellten Diagnosen über nicht erkannte mentale Erkrankungen bis hin zu daraus resultierenden ungünstigen Krankheitsverläufen.
Was für alle Geschlechter gleichermaßen gilt: Es braucht einen toleranten, unterstützenden Umgang mit psychischen Erkrankungen im Arbeitsumfeld. Nur so können vielfach vorhandene Ängste vor sozialer Ausgrenzung oder vor negativen Auswirkungen auf die eigenen Karrierechancen wegen einer psychischen Störung thematisiert und bewältigt werden.