Roland Berger machte aus einer Ein-Mann-Firma die größte nichtamerikanische Strategieberatung. Die Ursache der Wirtschaftskrise sieht er im Mangel an Start-ups, die auf dem Weltmarkt bestehen können.
Als Roland Berger in den 1960er-Jahren begann, war Beratung für Unternehmen noch ein Fremdwort. Manager sollten gefälligst selber Strategien entwickeln. Im Boom dieser Zeit änderte sich aber die Arbeitsteilung und externe Berater auf Zeit entwickelten fortan gegen Honorar Marktstrategien. Bald beriet Berger den Großteil deutscher Unternehmen und Banken, eröffnete später Büros weltweit.
Seine Lebensgeschichte, die der renommierte Historiker Gregor Schöllgen aufschrieb, erscheint dieser Tage. Berger, 87, berät noch immer Unternehmen und CEOs. Er sagt, so bleibe es, „solange ich in der Lage bin, um die Welt zu fliegen“. t-online traf Berger zum Interview.
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t-online: Herr Berger, wären Sie in der Welt von heute gerne noch mal jung?
Roland Berger: Ja, schon, weil ich ein positiver Mensch bin. In der Krise liegen nach meiner Erfahrung immer auch große Chancen. Und wenn ich meine Chance hier nicht fände, würde ich sie irgendwo auf der Welt suchen. In einem Zeitalter, in dem die Technologien sich rasant verändern, würde mir sicherlich etwas einfallen.
Ihre Karriere fiel in die goldenen Jahre der Bundesrepublik. Ist diese Zeit unwiederbringlich vorbei?
Nicht unwiederbringlich, aber im Moment durchleben wir eine erhebliche Krise. Wir stecken in der Rezession, in den letzten fünf von sechs Jahren war die Industrieproduktion rückläufig. Wir haben kaum noch wachsende Netto-Investitionen, weder im öffentlichen noch im privaten Bereich. Wir sind weit weg vom Exportweltmeister. Inzwischen sind wir der drittschlechteste Exporteur in der OECD. Die Arbeitslosigkeit liegt schon wieder bei 3 Millionen.
Krisen sind gute Zeiten für strategische Berater. Wo würden Sie ansetzen?
Wir haben ein Grundsatzproblem: Unsere Industrie ist Weltspitze in Technologien, die zwischen 100 und 200 Jahre alt sind. Chemie: 100 Jahre alt. Automobilindustrie 150 Jahre alt. Maschinenbau: 200 Jahre alt. Aber wir müssen feststellen, dass zum Beispiel China bei allen drei Produktkategorien, vor allem der Automobilindustrie, schnell auf unser Niveau kommt und uns mit niedrigeren Preisen bei gleicher technologischer Leistungsfähigkeit bekämpft. Die Zukunft liegt in disruptiven Technologien wie der Digitalisierung, in Künstlicher Intelligenz oder in Gen- und Biotechnologien. Und wir? Wir spielen auf diesem Feld eine untergeordnete Rolle. Wir haben SAP, ein exzellentes Weltunternehmen, aber dessen Marktkapitalisierung macht nur gut ein Zehntel von Microsoft oder Apple aus.
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Roland Berger (geboren 1937) ist ein deutscher Unternehmensberater. Er gründete 1967 die Strategieberatung Roland Berger, die heute international tätig ist. Berger gilt als einer der einflussreichsten Berater Europas und war in Aufsichtsräten mehrerer Unternehmen tätig.
In Not ist besonders die deutsche Automobilindustrie.
Sie wird nicht aussterben. Sie produziert heute schon in den USA, in China, Südamerika, in Südostasien. Sie kann sich auch nach Afrika ausdehnen, was teilweise, zum Beispiel in Südafrika, schon geschieht. Aber sie muss eine ganze Generation Technologie bei den batteriegetriebenen E-Autos und bei Hybriden aufholen. Das Auto der Zukunft wird ein Computer auf vier Rädern sein. Die deutsche Automobilindustrie wird weltweit stark bleiben, aber mit weniger arbeitsintensiver Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland. Wir werden mittelfristig weniger Autos in Deutschland produzieren, doch die hochwertigen Wertschöpfungsfunktionen wie Entwicklung, Design, Software-Entwicklung bis zu Produktionsanläufen, Logistik und der Fertigung von Premiumautos im Lande behalten können.
Die Wirtschaft macht die Politik für die Krise verantwortlich. Die Regierung wiederum sucht die Versäumnisse bei den Unternehmen. Wer von beiden hat mehr recht?
Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen – von der Bildung über Forschung bis zur Technologieentwicklung. Aber bis zu 80 Prozent der Investitionen entfallen auf die Industrie. Und die Unternehmen bewähren sich mit ihren innovativen Produkten im freien Wettbewerb auf den Märkten. Dort haben sich unsere starken Industrien bisher gut geschlagen. Was uns jedoch praktisch fehlt, sind Start-ups in den disruptiven Zukunftstechnologien, aus denen dann große, weltmarktführende Unternehmen werden. Sobald sich diese als einigermaßen wettbewerbsfähig erweisen, werden sie aufgekauft – im positiven Fall von deutschen Großkonzernen wie Siemens, Bosch oder anderen, zu oft aber von ausländischen Wettbewerbern oder Finanzinvestoren.