Koalitionskrach
Warum die Ampel am Abgrund steht
Aktualisiert am 04.11.2024 – 12:35 UhrLesedauer: 4 Min.
Die Freude an der Zusammenarbeit ist in der Koalition schon lange verflogen. Den Absprung hat aber kein Partner gewagt – bisher. Angesichts mieser Umfragen könnte es ein Sturz in die Tiefe werden.
Die Ampel-Koalition wackelt. Im von der FDP ausgerufenen „Herbst der Entscheidungen“ ist die „Woche der Entscheidungen“ angebrochen – so sagt es jedenfalls SPD-Chef Lars Klingbeil. Zentral könnte ein Treffen der Koalitionsspitzen am Mittwochabend sein. Vorher wollen Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu dritt beraten. Worum geht es im Hickhack um die Wirtschafts- und Finanzpolitik? Und kann es mit dem zerrütteten Bündnis überhaupt weitergehen?
Traditionell streitet in der Ampel-Koalition jeder mit jedem. Das zeigt sich auch daran, dass Scholz, Habeck und Lindner jeweils eigene Vorstöße zur Wirtschaftspolitik gemacht haben. Aktuell stehen allerdings vor allem SPD und Grüne der FDP gegenüber: Beide haben den kleinsten Koalitionspartner im Verdacht, auf ein Ampel-Aus hinzuarbeiten. Aktueller Zankapfel ist ein Grundsatzpapier Lindners, in dem er ohne vorherige Absprache einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik fordert.
Teils, teils. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat arbeiten weiter an Gesetzen. An diesem Mittwoch sollen mehrere Gesetzentwürfe im Kabinett beraten werden. Auch auf das „Sicherheitspaket“ mit Verschärfungen in der Asylpolitik und bei der inneren Sicherheit konnte sich die Ampel noch einigen.
Mühsam ist die Zusammenarbeit aber schon lange. Zum Streit kommt es immer wieder, wenn es um politische Grundüberzeugungen der Ampel-Partner geht, wie zum Beispiel bei der Atomkraft vor zwei Jahren oder wenn es darum geht, wofür der Staat Geld ausgeben sollte. Das Geben und Nehmen, das in einer Koalition nötig ist, fällt SPD, Grünen und FDP immer schwerer – erst recht seit dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts vor rund einem Jahr, das die Regierung in arge Geldnot brachte. Zuletzt drehte sich der öffentliche Streit vor allem um drei Fragen, von denen Lindner schon im September sagte, sie müssten nun geklärt werden: die irreguläre Migration sowie Leitplanken für die Wirtschaftspolitik und die Aufstellung des Bundeshaushalts.
Am Mittwoch trifft sich der Koalitionsausschuss mit wichtigen Mitgliedern der Bundesregierung sowie aus den Ampel-Parteien und -Fraktionen. Wenn sich dieser Kreis nicht einig wird, hat die Koalition kaum eine Chance auf Fortbestand bis zum regulären Wahltermin Ende September 2025. Zu klären sei die Frage „Haben alle noch genug Puste?“, sagt Klingbeil. Bleibt der große Knall erstmal aus, könnte das Gerangel andauern bis zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 14. November, in der die Abgeordneten den Etat für das kommende Jahr festzurren sollen.
In der Wirtschaftspolitik prallen angesichts der Konjunkturflaute die unterschiedlichen ideologischen Auffassungen der Ampel-Partner voll aufeinander. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern.
Das lehnt die FDP ab, die auf die Einhaltung der Schuldenbremse pocht. Die FDP wolle keine „staatliche Feinsteuerung“, sondern Entlastungen für die gesamte Breite der Wirtschaft, auch durch einen sofortigen Stopp aller neuen Regulierungen. Lindner spricht sich auch dafür aus, nationale durch europäische Klimaziele zu ersetzen. In der Folge könnten aus seiner Sicht auch Fördermaßnahmen etwa für den Heizungsaustausch verringert oder zeitlich gestreckt werden. Lindner will eine Aufweichung der Klimaschutzziele, die mit den Grünen nicht zu machen sein dürfte.
Die SPD will sich vor allem als Retterin von Industriearbeitsplätzen profilieren. Das könnte milliardenschwere Maßnahmen zur Senkung der Netzentgelte und damit der Stromkosten beinhalten sowie neue Fördermaßnahmen, um die Nachfrage nach Elektroautos anzukurbeln. Ein No-Go ist aus Sicht der SPD die Forderung Lindners nach Abschaffung des Solidaritätszuschlags, den seit längerem aber nur noch Top-Verdiener zahlen.
Entscheidend ist, ob sich die Koalition noch auf eine Bundeshaushalt fürs kommende Jahr einigen kann. Es müssen noch Milliardenlücken geschlossen werden. Am 14. November ist dazu die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses geplant, in der die Abgeordneten letzte Fragen klären.
Im Papier Lindners heißt es mit Blick auf die gesenkte Konjunkturprognose und die trübere Steuerschätzung, die im Haushaltsentwurf vorgesehenen Schritte zur Konsolidierung seien nicht ausreichend. Eine weitere Kürzung staatlicher Ausgaben sei notwendig, genannt wird etwa das Bürgergeld.
Lindner spricht sich außerdem dafür aus, dass die Subvention für den Chipkonzern Intel nicht nur verschoben wird, sondern ganz entfällt. Die bisher dafür gebundenen Mittel von insgesamt 10 Milliarden Euro könnten in den Kernhaushalt fließen. Bisher sind die Mittel im Klima- und Transformationsfonds gebunden, einem Sondertopf. Der kriselnde Intel-Konzern hatte den Bau eines Werks in Magdeburg verschoben, den Deutschland fördern wollte.