Neuwahl des Bundestags
Wahlkampf pur in Debatte über Vertrauensfrage
Aktualisiert am 16.12.2024 – 15:06 UhrLesedauer: 4 Min.
Es ist ein historischer Tag im Bundestag. Eine Regierung neigt sich dem Ende zu. Der Kanzler stellt die Vertrauensfrage. Die Debatte ist aber schon voll und ganz vom Wahlkampf geprägt.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Debatte über seine Vertrauensfrage im Bundestag für eine Wahlkampfrede mit harten Attacken vor allem gegen die FDP genutzt. Die „wochenlange Sabotage“ der Liberalen unter Parteichef Christian Lindner habe nicht nur der Ampel-Regierung, sondern auch der Demokratie insgesamt geschadet, sagte er. „In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife.“
Unions-Fraktionschef Friedrich Merz nannte die Attacke in seiner Erwiderung eine „blanke Unverschämtheit“. Scholz habe in seiner Rede zwar viel von Respekt gesprochen, sagte der CDU-Vorsitzende an die Adresse des Kanzlers. „Aber ganz offensichtlich hört Ihr Respekt dort auf, wo es andere politische Meinungen gibt“.
Der Oppositionsführer kritisierte, Scholz hinterlasse das Land in einer der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte. Er warf Scholz zudem schwere Versäumnisse beim Engagement auf EU-Ebene vor. „Sie blamieren Deutschland“, sagte er. Es sei „zum Fremdschämen“, wie der Kanzler sich in der Europäischen Union bewege.
Lindner konterte die Attacke des Kanzlers mit einem Gegenangriff auf dessen Wirtschaftspolitik. Scholz“ Antworten gingen am tiefgreifenden Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit vorbei. Als Beispiel nannte Lindner die gerade erst von Scholz vorgeschlagene Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. „Der Prinz Karneval, der kann am Rosenmontag Kamelle verteilen um populär zu werden. Aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht regiert werden.“
Scholz bekräftigte, dass er die Vertrauensfrage mit dem Ziel einer um sieben Monate vorgezogenen Wahl des Parlaments stellt. „Bei dieser Wahl können dann die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs unseres Landes vorgeben, darum geht es“, sagte er. „Die Vertrauensfrage richte ich deshalb heute an die Wählerinnen und Wähler.“ Den größten Teil seiner knapp halbstündigen Rede nutzte Scholz dann auch dafür zu erläutern, mit welchem Programm er die Wähler überzeugen will, für die SPD zu stimmen. Stabile Renten, Erhöhung des Mindestlohns und das Nein zur Lieferung der Marschflugkörper Taurus in die Ukraine sind nur einige Punkte.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte davor, mit Naivität auf die geplante Neuwahl und die Zeit danach zu blicken. „Alle tun so, als wäre danach alles besser“, sagte der Kanzlerkandidat der Grünen. Schwierige Bündnisse, die von den Beteiligten die Fähigkeit zum Kompromiss erfordern, seien auch in Zukunft zu erwarten. Es gebe auch keine Garantie, dass Deutschland nach der für den 23. Februar geplanten Neuwahl zu einer schnellen Regierung kommen werde. Die Grünen und er persönlich wollten dafür arbeiten, „dass das Land in dieser schwierigen Phase handlungsfähig bleibt“.
Scholz wurde von seiner Frau Britta Ernst in den Bundestag begleitet. Die Vertrauensfrage ist für ihn die einzige Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen. Er hatte diesen Schritt bereits am 6. November unmittelbar nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Lindner und dem Aus seiner Ampel-Koalition angekündigt. Seitdem führt er eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Bundestag keine Mehrheit mehr hat. Ohne Unterstützung aus der Opposition kann sie nichts mehr durchsetzen.
Dass Scholz bei der Abstimmung gegen seinen Willen die notwendigen 367 Stimmen erreicht, um das Vertrauen des Bundestags zu behalten, gilt als ausgeschlossen. Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will ihrem Kanzler zwar das Vertrauen aussprechen. Die Grünen-Fraktionsspitze hat ihren 117 Parlamentariern allerdings eine Enthaltung empfohlen. Damit will sie ausschließen, dass Scholz etwa durch Stimmen der AfD unbeabsichtigt doch noch eine Mehrheit bekommt.
Würden die Grünen für Scholz stimmen, wären das zusammen schon 324 Stimmen, also nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Dann hätte AfD mit ihren 76 Abgeordneten Scholz rein rechnerisch zu einer Mehrheit verhelfen können.
Nach Angaben von AfD-Chefin Alice Weidel wollen aber nur drei Abgeordnete für Scholz stimmen. Diese sorgten sich „um einen Kriegskanzler Friedrich Merz“, der damit zündele, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern, sagte Weidel. Namen nannte sie nicht. Nach dpa-Informationen handelt es sich um die Abgeordneten Jürgen Pohl, Christina Baum und Edgar Naujok. Ein oder zwei Abgeordnete könnten sich den Informationen zufolge außerdem enthalten, hieß es weiter.
Die 196 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion werden nach Angaben ihres Parlamentsgeschäftsführers Thorsten Frei geschlossen gegen Scholz stimmen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geht dagegen davon aus, dass seine Fraktion ihrem Kanzler klar den Rücken stärken wird. Die Unterstützung für Scholz unter den 207 SPD-Abgeordneten sei „absolut deutlich“, sagte er. „Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Bundeskanzler allen Zuspruch geben, den er braucht, aber den er auch verdient hat.“