Die Strategie von VW wurde nie hinterfragt, insbesondere die hohen Dividendenausschüttungen der letzten Jahre. Das rächt sich jetzt.
Wenn ein Unternehmen im Fokus der Öffentlichkeit steht, kommen viele Fakten auf den Tisch, die vorher niemanden interessiert haben. Bestes Beispiel: VW. Mit der Ankündigung, Werke zu schließen und Tausende Mitarbeiter zu entlassen, bekommt das Unternehmen nicht nur Aufmerksamkeit vonseiten der Gewerkschaft und Politik, sondern es kommt plötzlich auch vieles in Bewegung, was vorher Status quo war.
Das gilt auch zunächst ganz allgemein für die Aktienkurse, nicht nur von Autobauern. Steigen die Kurse an der Börse, fragt niemand nach den Problemen, sondern sieht nur die positiven Aussichten. Fallen sie hingegen, wird ein Problem nach dem anderen hervorgeholt, mit der Begründung, dass die Krise absehbar war.
Dass beispielsweise die deutschen Automobilstandorte zu teuer produzieren und nicht wettbewerbsfähig sind, wurde jahrelang nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Auch die Dividendenpolitik war nie ein Thema. Jetzt fehlen dem Volkswagen-Konzern Milliarden für Investitionen. Dabei war das Geld längst da. Es wurde nur an anderer Stelle ausgegeben.
Die Gründe für die Krise bei Volkswagen sind nicht nur der schwierige Absatzmarkt in China, die Konkurrenz aus den USA oder die verpasste Chance, rechtzeitig ein massentaugliches Elektroauto zu bauen. Sondern es ist auch die Art und Weise, wie das Management mit den verdienten Gewinnen umgegangen ist – und das nicht erst seit diesem oder dem vergangenen Jahr, sondern schon lange vor der aktuellen Krise.
Im Börsendeutsch heißt das Kapitalallokation. Die Kapitalallokation ist ein wichtiges Instrument des Finanzmanagements, das dem Unternehmen hilft, seine begrenzten Ressourcen optimal einzusetzen und fundierte Investitionsentscheidungen zu treffen.
Dabei erfüllt die Kapitalallokation definitionsgemäß mehrere Ziele: Zum einen soll das Kapital mögliche Verluste in einem definierten Umfang auffangen können, zum anderen dient das allokierte Kapital dazu, die Gemeinkosten auf die Unternehmensbereiche und Produkte zu verteilen.
Mit anderen Worten: Bei der Kapitalallokation überlegt sich das Management eines Unternehmens, wo die überschüssigen Gewinne am sinnvollsten eingesetzt werden können. Wenn es strategisch sinnvoll erscheint, in eine sehr teure Zukunftstechnologie wie die Elektromobilität zu investieren, und die jährlichen Überschüsse nicht ausreichen, wäre es besser, das benötigte Kapital zurückzulegen, anstatt es für andere Dinge auszugeben.
Und genau an dieser Stelle hat Volkswagen sich dafür entschieden, einen Teil des Überschusses als Dividende an seine Aktionäre auszuschütten – genauer gesagt liegt die Ausschüttungsquote im 10-Jahres-Schnitt bei rund 20 Prozent pro Jahr.
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Allein in diesem Jahr flossen rund 4,5 Milliarden Euro an die Aktionäre, darunter auch an das Land Niedersachsen, das mit 20 Prozent an Volkswagen beteiligt ist. Im Vorjahr lag die Ausschüttungssumme bei etwa 4,37 Milliarden Euro. Durch eine Sonderzahlung im Jahr 2022 erhöht sich die Ausschüttungssumme sogar auf rund 13,3 Milliarden Euro.
Rechnet man die Dividenden der vergangenen zehn Jahre zusammen, ergibt sich eine Summe von rund 37 Milliarden Euro – Geld, das VW nun dringend für Zukunftsinvestitionen benötigen könnte. Für neue Modelle, gute Software, autonomes Fahren und gut ausgebildete Mitarbeiter.
Ohne Investitionen, so formuliert es VW, „fehlen wesentliche Anschlussprodukte zur Auslastung der Standorte“. Wie der Autobauer diesen finanziellen Freiraum erreichen will, ist bisher nicht erkennbar.
Laut „Handelsblatt“ soll der von VW geplante Lohnverzicht zwei Milliarden Euro an Einsparungen bringen. Knapp 800 Millionen bringen demnach die Gehaltssenkung um zehn Prozent, weitere 1,2 Milliarden kämen durch das Streichen verschiedener Bonuszahlungen und Zuschläge sowie Nullrunden in den kommenden Jahren zusammen.
Mehr als die Hälfte der insgesamt geplanten Einsparungen von knapp 3,6 Milliarden Euro sollen demnach allein durch Lohnverzicht erzielt werden. Das Aus für die Produktion in Emden würde rund 600 Millionen Euro bringen, die Schließung des Werks in Osnabrück hätte ein Einsparpotenzial von rund 130 Millionen Euro. Im Werk Dresden könnten 60 Millionen Euro eingespart werden.
VW-Verhandlungsführer Arne Meiswinkel, Personalvorstand der Kernmarke, verteidigte am Mittwoch den harten Sparkurs. Die Lage spitze sich weiter zu, sagte er vor dem Beginn der Gespräche zur zweiten Tarifrunde in Wolfsburg. „In der Konsequenz müssen wir unsere Effizienz steigern und unsere Kosten senken.“ Denn, so Meiswinkel: „Nur wer erfolgreich wirtschaftet, kann auch sichere Arbeitsplätze bieten.“