In der Sixtinischen Kapelle wird bald der neue Papst gewählt. Im Interview mit t-online verrät der ehemalige Direktor der vatikanischen Museen die Geheimnisse des Ortes und Michelangelos versteckte Gemeinheiten.
Viele der weltweit rund 1,4 Milliarden Katholiken schauen diese Woche gebannt nach Rom. In der Sixtinischen Kapelle werden am 7. Mai die Kardinäle zusammenkommen, um nach dem Tod von Franziskus einen neuen Papst zu wählen. Diese vom Renaissance-Genie Michelangelo bemalte Halle im apostolischen Palast steckt voller Geheimnisse. Kaum jemand kennt sie besser als Francesco Buranelli. Er war jahrelang der Generaldirektor der vatikanischen Museen. Im Interview verrät er unter anderem, welchen Einfluss Michelangelos Fresken auf die Papstwahl haben.
t-online: Herr Buranelli, Sie waren lange Jahre Generaldirektor der Vatikanischen Museen und damit auch der Sixtinischen Kapelle. Können Sie sich erinnern, wann Sie den Raum zum ersten Mal betreten haben?
Francesco Buranelli: Das erste Mal war ich als kleiner Junge mit meiner Mutter dort und habe natürlich kaum etwas verstanden von dem, was ich da sah. Das zweite Mal ging ich als Jugendlicher mit 15 Jahren hin zusammen mit meinem kleinen Bruder, der damals 13 war. Es war ein Sonntag, der letzte Sonntag eines Monats, weil da der Eintritt des Museums kostenlos ist. Ich weiß noch, dass ich eingeschüchtert war, als ich in die Sistina kam. Diese Großartigkeit hat mich fast erdrückt, ich fühlte mich, als sei ich dort am falschen Platz. Ich guckte mir derart begeistert alle Kunstwerke an, dass ich nicht mehr auf meinen kleinen Bruder achtgab und wir uns verloren. Als wir getrennt voneinander nach Hause kamen, habe ich von meiner Mutter fürchterlichen Ärger bekommen, weil ich nicht auf meinen Bruder aufgepasst hatte.
Francesco Buranelli (*1955 in Rom) ist ein italienischer Archäologe und Etruskologe. Er studierte an der Universität Rom und promovierte 1987. Seit 1983 war er an den Vatikanischen Museen tätig, ab 1993 als Leiter der etruskischen Abteilung und von 2002 bis 2007 als Generaldirektor. Bis vor kurzem war er Präsident der Ständigen Kommission zum Schutz der historischen und künstlerischen Denkmäler des Heiligen Stuhls.
Und jetzt wird dort der neue Papst gewählt. Wie wird die Sixtinische Kapelle für das Konklave umgebaut?
Sämtliche technischen Geräte sind abmontiert worden. Nichts darf einen Kontakt zur Außenwelt ermöglichen: Sicherheitskameras, Sensoren, Sender, alles wurde entfernt. Stattdessen ist die Kapelle jetzt möbliert, es gibt Schreibtische, Stühle, Lesepulte für die Kardinäle. Vor dem Altar wird es den Tisch der Wahlleitung mit drei Kardinälen geben. Das ist auch für erfahrene Würdenträger ein spirituell und psychologisch sehr herausforderndes Ritual direkt unter dem Kreuz. In diesen Momenten wird immerhin der Nachfolger Petri ausgewählt.
Glauben Sie, dass dieser besondere Ort die Papstwahl beeinflusst, also die Entscheidung der Kardinäle?
Es ist ein Ort voller Geschichte und unglaublicher Kunstwerke, der die Geschichte der Kunst und der Menschheit verändert hat. Ich bin überzeugt, dass Michelangelos Fresken in der Vergangenheit, aktuell und auch in Zukunft die Papstwahl stark beeinflussen. Weil sich dort alle dem jüngsten Gericht stellen, Jesus als Richter. Also auch die Kardinäle. Dieses Fresko an der Altarwand hatte Clemens VII. bei Michelangelo in Auftrag gegeben. Und man kann es interpretieren als die Bitte um Vergebung für die Sünden der Kirche zu dieser Zeit. Es ist noch heute ein Symbol für uns alle: Am jüngsten Tag wird sich jeder einzelne von uns vor Gott für seine Sünden verantworten müssen. Diese Art Simulation des göttlichen Gerichts beeinflusst natürlich jeden Kardinal beim Konklave.
Welche Wirkung entfaltet das Fresko, wenn man im Raum steht?
Beim jüngsten Gericht benutzte Michelangelo eine komplett andere Herangehensweise als beim Deckenfresko mehr als 20 Jahre zuvor. Bei der Decke war er zwischen 1508 und 1512 geradezu gezwungen, malend Architektur zu schaffen. Beim jüngsten Gericht will er hingegen keine Grenzen der Architektur mehr, er durchbricht geradezu die Mauer mit diesem lapislazuliblauen Hintergrund, der den Betrachter fast blendet. Da öffnet sich in der Kapelle ein Universum mit knapp 400 Personen. Im Zentrum steht Jesus, der Richter. Und um ihn herum schwirren Seelen, die von ihm gerettet werden oder die verdammt sind und in die Hölle herabstürzen. Es ist wie ein Wirbel, ein Sog, der den Beobachter hineinzieht. Und Michelangelo hat dort auch vieles versteckt.
Unter anderem seine Signatur – und zwar als Selbstporträt auf der Haut des heiligen Bartholomäus. Das ist einerseits Michelangelos Unterschrift, andererseits ein Hinweis auf das Martyrium von Bartholomäus, das Michelangelo selbst fühlte. Fünf lange Jahre malte er als älterer Mann an diesen über 200 Quadratmetern. Michelangelo war ja Toskaner und die haben den Ruf, sarkastisch und etwas rachsüchtig zu sein. Das lässt er seinen Auftraggeber auch spüren.