Neuwahl des Bundestags
Steinmeier macht Weg für Neuwahl frei
Aktualisiert am 27.12.2024 – 11:16 UhrLesedauer: 5 Min.
Die Ampel-Koalition zerbrochen, keine neue, stabile Mehrheit in Sicht, Deutschland in der Regierungskrise. Für den Bundespräsidenten gibt es nur einen Ausweg.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Bundestag aufgelöst und so den Weg zu seiner Neuwahl freigemacht. Diese soll am 23. Februar kommenden Jahres stattfinden, wie Steinmeier in Berlin bekanntgab. Er reagierte damit auf das Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition im November und die verlorene Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag kurz vor Weihnachten.
Politische Stabilität sei in Deutschland ein hohes Gut, die Auflösung des Bundestages vor dem Ende der Legislaturperiode und vorgezogene Neuwahlen seien der Ausnahmefall, sagte Steinmeier im Schloss Bellevue. „Aber gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt braucht es für Stabilität eine handlungsfähige Regierung und verlässliche Mehrheiten im Parlament.“
„Die jetzige Regierung verfügt ausweislich der Abstimmung über die Vertrauensfrage über keine Mehrheit mehr, aber auch für eine anders zusammengesetzte Regierung habe ich in den Gesprächen keine Mehrheiten erkennen können. Deshalb bin ich überzeugt, dass zum Wohle unseres Landes Neuwahlen jetzt der richtige Weg sind“, sagte Steinmeier. Das Grundgesetz habe für diese Situation Vorkehrungen getroffen. Der Bundestag arbeite weiter bis sich ein neuer Bundestag konstituiert habe. „Unsere Demokratie funktioniert, auch in Zeiten des Übergangs.“
Steinmeier wies auf die lange Auseinandersetzung über das Ob und Wie einer Neuwahl und auf den nun bevorstehenden Wahlkampf hin. Anschließend werde es an der Zeit sein, „dass das Problemlösen wieder zum Kerngeschäft von Politik wird“. Dies erwarteten die Menschen. Sie erwarteten tragfähige Vorschläge für eine gute Zukunft und für ein Land, das sich in schwieriger Zeit behaupten könne. Steinmeier sagte, er glaube, die Menschen verstünden, dass auch schmerzhafte Wahrheiten dazugehörten.
Die nächste Bundesregierung habe große Aufgaben vor sich, sagte Steinmeier. „Deshalb muss es in den kommenden Wochen um die besten Lösungen gehen für Herausforderungen unserer Zeit.“ Er nannte die wirtschaftlich unsichere Lage, die Unternehmen in Schwierigkeiten bringe und Arbeitsplätze gefährde, die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine mit ihren Auswirkungen auch in Deutschland, die drängenden Fragen der Steuerung von Zuwanderung und Integration, den Klimawandel sowie das friedliche und sichere Zusammenleben in unserem Land.
„Respekt und Anstand im Wahlkampf“
Die Debatte über die besten Lösungen könne natürlich auch mit Zuspitzungen und Schärfe geführt werden, gerade im Wahlkampf. „Das verträgt unsere freiheitliche Demokratie oder mehr noch, sie braucht den Wettstreit der Ideen“, sagte Steinmeier. „Aber ich erwarte, dass dieser Wettstreit mit Respekt und mit Anstand geführt wird – schon allein deshalb, weil nach der Wahl die Kunst des Kompromisses gefragt sein wird, um eine stabile Regierung zu bilden.“
Er wandte sich gegen Einflussversuche von außen. Auch dürfe im Wahlkampf Gewalt und nichts, was sie vorbereite, keinen Platz haben. „Verunglimpfung, Einschüchterung, Gewalt – all das ist Gift für die Demokratie. All das beschädigt unsere Demokratie. Wir müssen Gewalt ächten! Das erwarte ich von allen, die sich um Verantwortung bewerben.“
Bundeskanzler Scholz hatte am 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt, nachdem im November die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP nach nur rund drei Jahren zerbrochen war. Scholz erhielt für seinen Antrag – wie von ihm beabsichtigt – keine Mehrheit. Er bat daraufhin Steinmeier, den Bundestag aufzulösen, um den Weg für eine Neuwahl freizumachen.
Nach Artikel 68 Grundgesetz kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen, wenn dieser die Vertrauensfrage verliert. Artikel 39 schreibt vor, dass die Neuwahl dann innerhalb von 60 Tagen stattfinden muss.
Steinmeier ließ sich mit seiner Entscheidung nur 11 Tage Zeit. Er führte aber nach der Entscheidung des Bundestages über die Vertrauensfrage zunächst Gespräche mit den Vorsitzenden der Fraktionen und Gruppen. So wollte er herausfinden, ob es nicht doch noch einen Weg für eine stabile politische Mehrheit im Bundestag gibt.
Dass der Bundestag vorzeitig aufgelöst wird, ist der absolute Ausnahmefall in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Vertrauensfrage von Scholz war erst die sechste seit 1949. In drei Fällen endete anschließend die Wahlperiode vorzeitig. Dies betraf die Kanzler Willy Brandt (SPD) 1972, Helmut Kohl (CDU) 1982 und Gerhard Schröder (SPD) 2005.