Parteien
SPD verliert Wahlkampf-Manager – Kühnert tritt zurück
Aktualisiert am 07.10.2024 – 17:29 UhrLesedauer: 3 Min.
SPD-Generalsekretär Kühnert zieht einen Schlussstrich, „weil ich leider nicht gesund bin“. Die SPD verliert in einer strategisch kritischen Phase eines ihrer größten Talente.
Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl kann er nicht mehr: Aus gesundheitlichen Gründen tritt Kevin Kühnert als Generalsekretär der SPD zurück. Auch für den Bundestag werde er nicht erneut kandidieren, erklärte der 35-Jährige in einem Brief an Parteimitglieder und Öffentlichkeit. Damit verliert die SPD in einer strategisch wichtigen Phase ihren Wahlkampf-Manager – und vorerst eins ihrer größten politischen Talente.
Im Wahlkampf müsse jeder in der SPD über sich hinauswachsen, hatte Kühnert noch vor wenigen Tagen gesagt. Nun muss er eingestehen: „Ich selbst kann im Moment nicht über mich hinauswachsen, weil ich leider nicht gesund bin.“ Die Energie, die für sein Amt und einen Wahlkampf nötig sei, brauche er auf absehbare Zeit, um gesund zu werden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur handelt es sich nicht um körperliche, sondern mentale Probleme. „Deshalb ziehe ich die Konsequenzen“, schrieb Kühnert. Vorerst zieht er sich komplett aus der Politik zurück.
„Diese Entscheidungen haben mich Überwindung gekostet und sie schmerzen mich, weil ich meine politische Arbeit mit Herzblut betreibe“, erklärte der Berliner. Doch er trage Verantwortung für sich selbst und für die SPD. „Indem ich mich jetzt ganz um meine Gesundheit kümmere, glaube ich, meiner doppelten Verantwortung am besten gerecht zu werden.“
Parteichef Lars Klingbeil betonte, jetzt gehe es vorrangig um Kühnert und seine Gesundheit. Das politische Geschäft sei fordernd und anstrengend. Doch: „Politik ist nicht alles.“ Parteichefin Saskia Esken bat darum, Kühnert Raum und Zeit für die Genesung zu geben. „Für ihn wird, wenn er irgendwann dafür bereit ist und es möchte, immer eine Tür offen stehen“, versicherte sie.
Für die Partei kam der Schritt offenkundig nicht überraschend. Noch am Abend sollen Gremien zur Nachfolge tagen, zeitnah soll ein Name genannt werden. „Wir sind vorbereitet“, sagte Esken. Vorerst könnte ein Generalsekretär kommissarisch ins Amt kommen, gewählt werden könnte er dann auf dem ohnehin geplanten außerordentlichen Parteitag im Sommer, auf dem auch der SPD-Kanzlerkandidat gekürt werden soll.
Gesucht wird nun ein Sozialdemokrat, der aus dem Stegreif nicht nur die Organisation eines schwierigen Bundestagswahlkampfs übernehmen kann, sondern der zugleich auch dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz Paroli bieten kann. Ohne Anlaufzeit müsste er zum Beispiel Debatten zur Industriepolitik, zur Rente und Migration bestehen können. Das spricht für eine erfahrene Politikerin oder einen erfahrenen Politiker.
Für die Ampel aus SPD, Grünen und FDP könnte Kühnerts Rückzug eine weitere Schwächung bedeuten. Denn nun suchen nicht nur die Grünen nach der Rücktrittsankündigung des gesamten Vorstands neue Führungspersönlichkeiten, sondern auch die Sozialdemokraten. Anders als bei den Grünen liegt das aber nicht an den schlechten Wahlergebnissen – auch wenn Kühnert nach der SPD-Schlappe bei der Europawahl in der Kritik stand.
Der scheidende Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour wünschte Kühnert im Namen seiner Partei vollständige Genesung und bedankte sich für die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ in den vergangenen drei Jahren.
Kühnerts Rolle in der SPD wird nicht einfach zu übernehmen sein. Der junge Berliner ist seit 2021 Generalsekretär der Sozialdemokraten und zog im selben Jahr in den Bundestag ein. Zuvor galt er jahrelang als oberster Querulant der SPD. Er war das Gesicht der No-GroKo-Kampagne von 2018, wollte als Juso-Chef eine Regierung aus Union und SPD verhindern. Bei der Wahl zum SPD-Vorsitz 2019 unterstütze er das linke Duo aus Esken und ihrem Mitbewerber Norbert Walter-Borjans – zusammen gewannen sie. Kühnert wurde daraufhin zum Parteivize gewählt.
Meinungsstark ist er seitdem geblieben. Kühnert tritt für die SPD in zahlreichen Talkshows an, äußert sich dort inzwischen aber bedachter und, so scheint es, schluckte für den Erfolg seiner Partei auch einiges runter. „Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass es Stabilität in der SPD gab und er hat entscheidend dazu beigetragen, dass unsere Partei sich weiterentwickelt hat in den letzten Jahren“, betonte Klingbeil.