Zehntausende demonstrierten Anfang der 1980er-Jahre gegen das Waldsterben und stoppten es so. Jetzt stirbt der Wald wieder. Diesmal allerdings ohne Demonstrationen.
Ein Drittel Deutschlands ist mit Wald bedeckt, und bis vor ein paar Jahren nahm ich an, dass das auch bis zu meiner Rente in etwa so bleiben würde. Vom Waldsterben in den 1980ern hatte ich natürlich gehört, aber das war ja gebannt worden. Dass durch die Hitze und Dürre 2018 ein neues Waldsterben einsetzte, erschreckte mich damals zwar. Es erschütterte mich aber nicht grundsätzlich. Erst nach und nach begriff ich in den vergangenen Jahren, wie akut die neue Welle wirklich ist.
Die Waldzustandserhebung des Landwirtschaftsministeriums bestätigt auch in diesem Jahr: Die Situation ist extrem ernst. Zwar haben sich die Bedingungen zuletzt etwas verbessert, die Wälder jedoch konnten sich vom Klimastress der vergangenen Jahre nicht erholen. Nur 20 Prozent der Bäume hatten im Jahr 2023 volle und gesunde Kronen. Auch wenn sich die Situation im Vergleich zu den Vorjahren nicht wesentlich verschlechtert hat, ist das der niedrigste Wert seit Beginn der Untersuchungen 1984.
Zur Person
Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
In ihrem Buch „Klartext Klima!“ – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. 2022 wurde sie vom „Medium Magazin“ zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt. Hier geht es zum Autorinnen-Profil.
Zum ersten Mal konkreter wurde das Waldsterben für mich, als ich im Frühjahr 2020 für einen Wanderurlaub in den Harz fuhr. Riesige Teile der Wälder waren zerstört, offenbar umgeknickt vom Sturm, abgestorben, grau und braun. Ich war entsetzt. Viele Wanderwege waren gesperrt, weil umgestürzte Bäume die Wege versperrten, aber auch weil Steinschlag drohte. Die abgestorbenen Wurzeln können die Steine und das Geröll am Berg nicht mehr halten. Lösen die Steine sich und rollen ins Tal, können sie Wandernde gefährden. Ich fragte mich: Wie kann das sein? Wenn die Auswirkungen so massiv sind, warum gibt es keine viel größere öffentliche Debatte? Und warum demonstrieren zumindest die Menschen aus den betroffenen Regionen nicht längst wieder auf der Straße?
Als ich nach Antworten auf meine Fragen suchte, fand ich Berichte über Borkenkäfer und Sturmschäden und die Erklärung, dass vor allem von Menschen angepflanzte Fichtenwälder abstürben. Mittlerweile ist klar, dass die Klimaveränderungen nicht nur Nadelforste hart treffen, auch heimische Laubbäume wie Buchen und Eichen leiden. Das Wort Klima kam damals in vielen Beiträgen gar nicht vor. Der Einfluss der Erderhitzung wurde nicht erwähnt.
Diese Wälder haben Stürmen und Schädlingen jahrzehntelang getrotzt. Dass sie plötzlich umgemäht werden wie Spielzeugfiguren und dass Käfer sich schlagartig verbreiten, ist nur möglich, weil die Bäume durch Hitze und Dürre geschwächt sind.
Schon im Bericht zur Waldzustandserhebung 2020 hieß es: „Die Auswirkungen des Klimawandels spüren wir mit aller Härte.“ Noch nie seit Beginn der Erhebungen seien so viele Bäume abgestorben wie in dem Jahr. Die Lage hat sich seitdem nicht wesentlich verbessert. Wegen der massiven Schäden müssen in Deutschland nach Schätzung von Fachleuten rund 500.000 Hektar Waldfläche in den nächsten Jahren wiederbewaldet werden – eine Fläche, doppelt so groß wie das Saarland. Der Wald ist kränker als in den 1980ern, als Bürgerinnen und Bürger mit großen Protesten dafür sorgten, dass die Ursachen politisch angegangen und behoben wurden.
Es sei wichtig, „unsere Wälder durch Waldumbau anzupassen und klimastabiler zu machen“, schreibt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) im Vorwort des aktuellen Waldberichts. Auch weil wir sie als CO2-Senken brauchen, die Kohlenstoff aus der Luft ziehen und binden. Beides hat Grenzen.
2022 war ich mit Wald- und Forstexperten in Bayern unterwegs, um Beispiele für einen erfolgreichen Waldumbau anzuschauen. Mehrere Tage diskutierten Fachleute dort, wie Wälder „klimastabil“ umgebaut werden könnten. In der Gegend gab es bereits unterschiedliche Flächen, auf denen junge Laubbäume zwischen alten Nadelbäumen wuchsen. Am Tag vor der Exkursion hatten die örtlichen Forstwirte und Waldschützer noch Wege geräumt, damit die Gruppe diese besichtigen konnte. Tags darauf waren bei der Besichtigung einige dieser neuen Laubbäume tot, andere schwer angeschlagen.
Bäume werfen ganze Äste ab
Es war der dritte Tag einer Hitzewelle. Und für Bäume sind nicht nur die Durchschnittstemperaturen relevant, sondern auch die Extreme. Wasser und Nährstoffe werden durch einen Sog durch die Leitungssysteme der Bäume transportiert. Weil Feuchtigkeit über kleine Öffnungen in den Blättern verdunstet, wird frisches Wasser über die Wurzeln aus dem Boden in die Krone gezogen. Ist es zu lange zu trocken und zu heiß, kann dieser Mechanismus im schlimmsten Fall zusammenbrechen.