Die Plattform X war verschrien als Spielwiese von Journalisten und Politikern. Doch vielen reicht es dort. Mit Dunja Hayali macht eine der prominentesten Moderatorinnen bei einem gemeinsamen „eXit“ mit.
Das Greifswald Moor-Centrum, Werder Bremen und Dunja Hayali haben etwas gemeinsam: Sie haben Elon Musks Plattform X öffentlich den Rücken gekehrt. Bereits im Juni verkündete das Moor-Centrum gemeinsam mit 46 anderen Organisationen unter dem Motto „ByeByeElon“ seinen Abschied. Trotz ihrer wichtigen Arbeit fand es zunächst wenig Beachtung, dass die Moorexperten und andere nichts mehr mit dem Social-Media-Sumpf zu tun haben wollen.
In den vergangenen Wochen hat sich der Trend aber verstärkt – weil sich immer deutlicher zeigt, welche Alternativen es gibt. Auch Journalisten erklären den Kurznachrichtendienst für entbehrlich, der in der Branche mal als Pflichtmedium galt. Ein Aber gibt es dabei. t-online hat mit Aussteigern gesprochen, die am Montag gemeinsam den Abschied erklärt haben.
Werder Bremen und der FC St. Pauli waren die ersten Bundesligavereine, die Mitte November ihre Accounts bei X dicht machten, um ein Zeichen zu setzen. Solche Abgänge dürften das Netzwerk tatsächlich treffen – auf der Plattform gibt es viele Nutzer, die sich aus Fanliebe angemeldet hatten und nun weniger Grund haben, X zu nutzen. Die News zur Vertragsverlängerung ihres Lieblingskickers bekommen sie nicht mehr auf X zuerst und aus erster Hand. X verliert an Relevanz.
„Wir wollen den Relevanzverlust weiter vorantreiben“, sagt der Autor Jan Skudlarek, einer der Initiatoren einer gemeinsamen öffentlichen Erklärung von 66 großen Accounts, die am Montag gemeinsam den Ausstieg erklärten. „Bislang war das Netzwerk sich selbst erhaltend: Leute wollten erst gehen, wenn es nicht mehr relevant ist, und relevant ist es, solange alle bleiben.“
Dabei sei das frühere Twitter „ein toxischer Ort geworden, eine Brutstätte von Rechtsextremismus, Wissenschaftsleugnung, Hass und Verschwörungserzählungen“. Deshalb sei der Gedanke gewesen, nicht leise zu gehen, „sondern mit einem Statement als gegenseitiger Arschtritt – und Anstoß zur Vernetzung an neuen Orten.“
Beteiligt an der konzertierten Aktion sind etwa auch Autorin Anne Raabe, die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli oder Arne Semsrott, Gründer des Portals „Frag den Staat“. Auch der Jura-Professor Stefan Huster, früherer Leiter des Corona-Sachverständigenrats, gehört zu den Unterzeichnern. Viele Journalisten sind darunter, der prominenteste Name ist der von Moderatorin Dunja Hayali.
Sie sagt t-online: „Die Plattform ist sinnbefreit und nicht mehr sinnstiftend.“ Früher seien Diskurs, Debatte, der Austausch von Argumenten, Erfahrungen samt Nachfragen möglich gewesen. Heute hätten dagegen „Polemik, Unterstellungen, Beleidigung, Zynismus und Desinformation das Ruder übernommen.“
Hayali ist bekannt dafür, den Austausch zu suchen, hat sich auch immer wieder Gesprächen bei Demonstrationen der politischen Ränder gestellt. „Es geht aber nicht mehr darum, Grenzen auszuloten, andere Meinungen aushalten und verstehen zu wollen, ohne Verständnis zu haben.“ Stattdessen: Meinungsbestätigung, Empörungsspirale, Blasen-Bespaßung – „was soll mir das bringen?“ Die destruktive Umgebung sei nicht die Streitkultur, die sie sich über politische und gesellschaftliche Grenzen hinweg wünsche. „Ich wollte das aus Sturheit lange nicht einsehen“, sagt sie.
Einer, der schon mal seinen Abgang erklärt hatte und dann doch noch einmal zurückgekommen war, ist Frederic von Castell, der Chefredakteur des „Medium Magazins“, Fachzeitschrift für Journalisten. „Für mich als Einzelperson sehe ich aber jetzt keinen Mehrwert mehr. Bluesky fängt das auf, was ich an Twitter verliere, es gibt dort jetzt das Netzwerk, die Accounts sind jetzt dort aktiv.“
Seit der US-Wahl ist die Nutzerzahl auf der noch verhältnismäßig neuen Social-Media-Plattform Bluesky stark gestiegen, auf mittlerweile knapp 24 Millionen. Damit liegt sie zwar noch weit hinter der von X, aber der Großteil der Nutzer ist aktiv und auch authentisch. Auf X dagegen bricht die Zahl ein.