Wegen russischer Bedrohung
Schweden und Norwegen rudern bei Abkehr vom Bargeld zurück
31.10.2024 – 13:53 UhrLesedauer: 3 Min.
Schweden und Norwegen überdenken ihre Pläne zum vollständigen Umstieg auf digitales Bezahlen. Hintergrund ist die Sorge vor einem russischen Cyberangriff.
Die Länder Schweden und Norwegen rudern bei ihren Plänen zum bargeldlosen Bezahlen zurück – aus Sorge vor einer russischen Einflussnahme. Wie der britische „Guardian“ berichtet, könnten rein digitale Bezahlsysteme die beiden skandinavischen Länder anfälliger für russische Sicherheitsbedrohungen machen.
Wie es in dem Bericht weiter heißt, soll im kommenden Monat eine Broschüre „Wenn Krise oder Krieg kommt“ an alle Haushalte in Schweden verschickt werden. In dieser rät das Verteidigungsministerium den Menschen, regelmäßig Bargeld zu nutzen und Vorräte für mindestens eine Woche in verschiedenen Stückelungen sowie Zugang zu anderen Zahlungsmethoden wie Bankkarten und digitalen Bezahldiensten bereitzuhalten. „Wenn Sie auf verschiedene Arten bezahlen können, stärken Sie Ihre Vorsorge“, heißt es laut „Guardian“ darin.
Zudem erwägt die schwedische Regierung ein Gesetz, um die Möglichkeit zu schützen, bestimmte Waren weiterhin bar bezahlen zu können. Auch wenn Bargeld in Schweden gesetzliches Zahlungsmittel ist, können Geschäfte sich praktisch bargeldlos machen, sofern sie das entsprechend ausweisen.
In Schweden hat sich das mobile Bezahlsystem Swish weitverbreitet, das 2012 von sechs Banken eingeführt wurde – von Marktständen bis zu Cafés und Bekleidungsgeschäften. Das norwegische Pendant, Vipps, fusionierte 2022 mit dem dänischen MobilePay und ist unter dem Namen Vipps MobilePay in beiden Ländern beliebt.
Im Jahr 2018 prognostizierte der damalige stellvertretende Gouverneur der schwedischen Zentralbank, dass Schweden bis 2025 möglicherweise bargeldlos sein würde. Doch Russlands Angriff auf die Ukraine 2022 und seine hybride Kriegsführung gegen den Westen haben mittlerweile auch Auswirkungen auf die Zahlungsmethoden. So werden prorussischen Hacker-Gruppen auch immer wieder Cyberangriffe gegen Onlinedienste nachgewiesen.
Max Brimberg, Forscher bei der schwedischen Zentralbank, erklärte: „Bargeld erfüllt eine spezifische Rolle im Zahlungssystem, sowohl weil es vom Staat herausgegeben wird als auch, weil es die einzige Zahlungsform ist, die bei Ausfällen von Strom oder Kommunikationsnetzwerken genutzt werden kann.“
Er betonte, dass die schwedischen Bezahlsysteme alle Teil eines einzigen Ökosystems seien. Ein Angriff auf dieses System könnte das gesellschaftliche Leben lahmlegen. „Nahezu jede Funktion im Alltag erfordert eine Form von Zahlung oder Verifikation – sei es durch elektronische Identifikationsverfahren oder digitale Zahlungen“, sagte er. „Wenn das System versagt, wäre die Funktionsfähigkeit der gesamten Infrastruktur Schwedens gefährdet.“
Auch das norwegische Justiz- und Sicherheitsministerium empfiehlt, etwas Bargeld bereitzuhalten, da digitale Bezahlsysteme anfällig für Cyberangriffe seien. Angesichts zunehmender globaler Unsicherheit durch Kriege, digitale Bedrohungen und Klimawandel sei die Stärkung des Bargeldrechts eine Vorsichtsmaßnahme, heißt es von dem Ministerium.
In Norwegen hatten Verbraucher zwar immer das Recht, bar zu bezahlen, doch wurde es nicht konsequent durchgesetzt. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der bargeldlosen Einzelhändler gestiegen, wodurch etwa 600.000 Menschen ausgeschlossen werden, die keinen Zugang zu digitalen Diensten haben. Die Regierung reagierte darauf im Sommer mit einem Gesetz, das seit dem 1. Oktober Einzelhändler mit Strafen belegt, wenn sie keine Barzahlungen akzeptieren.
Emilie Enger Mehl, Norwegens Ministerin für Justiz und öffentliche Sicherheit, warnte bereits Anfang des Jahres: „Wenn niemand mehr mit Bargeld zahlt oder es akzeptiert, wird Bargeld in Krisenzeiten keine echte Notfalllösung mehr sein.“ Längere Stromausfälle, Systemausfälle oder digitale Angriffe könnten dazu führen, dass Bargeld als „einzige verfügbare Alternative“ übrig bleibt, erklärte sie.
Hans Liwång, Professor an der schwedischen Verteidigungsuniversität, sagte aber dem „Guardian“, dass unklar sei, ob Bargeld gegenüber digitalen Zahlungen bei modernen Bedrohungen wirklich im Vorteil sei. Er verwies auf die Ukraine, wo digitale Systeme wesentlich zur Widerstandsfähigkeit beigetragen haben: „Die Ukraine zeigt sehr gut, wie man sich in die Zukunft bewegt, wenn Krieg herrscht – anstatt einen Rückschritt zu machen.“