Neuwahl des Bundestags
Scholz stellt Vertrauensfrage mit Wahlkampfrede im Bundestag
Aktualisiert am 16.12.2024 – 13:41 UhrLesedauer: 4 Min.
Es ist die erste Bundestagsabstimmung in seinen gut drei Jahren als Kanzler, die Olaf Scholz verlieren will. In seiner Rede zur Vertrauensfrage läutet er den Wahlkampf mit einer harten Attacke ein.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Rede zur Vertrauensfrage im Bundestag zu heftiger Kritik am früheren Koalitionspartner FDP genutzt. Ihre „wochenlange Sabotage“ habe nicht nur der Regierung, sondern auch der Demokratie insgesamt geschadet, sagte er. Und an die Adresse von FDP-Chef Christian Lindner: „In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife.“ Unions-Fraktionschef Friedrich Merz nannte die Attacke in seiner Erwiderung „nicht nur respektlos“, sondern sie sei auch eine „blanke Unverschämheit“.
Scholz bekräftigte im Bundestag, dass er die Vertrauensfrage mit dem Ziel einer um sieben Monate vorgezogenen Wahl des Parlaments stellt. „Bei dieser Wahl können dann die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs unseres Landes vorgeben, darum geht es“, sagte er vor den Abgeordneten. „Die Vertrauensfrage richte ich deshalb heute an die Wählerinnen und Wähler.“
Den größten Teil seiner knapp halbstündigen Rede nutzte Scholz dann dafür darzulegen, mit welchem Programm er in den Wahlkampf ziehen will. Stabile Renten, Erhöhung des Mindestlohns, Senkung der Mehrwertsteuer, Nein zur Lieferung der Marschflugkörper Taurus in die Ukraine sind nur einige Punkte. Die Wählerinnen und Wähler bat er „um ihr Vertrauen und ihre Unterstützung“.
Scholz wurde von seiner Frau Britta Ernst in den Bundestag begleitet. Die Vertrauensfrage ist für ihn die einzige Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen. Er hatte diesen Schritt bereits am 6. November unmittelbar nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Lindner und dem Aus seiner Ampel-Koalition angekündigt. Seitdem führt er eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Bundestag keine Mehrheit mehr hat. Ohne Unterstützung aus der Opposition kann sie nichts mehr durchsetzen.
Dass Scholz bei der Abstimmung gegen seinen Willen die notwendigen 367 Stimmen erreicht, um das Vertrauen des Bundestags zu behalten, gilt als ausgeschlossen. Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will ihrem Kanzler zwar das Vertrauen aussprechen. Die Grünen-Fraktionsspitze hat ihren 117 Parlamentariern allerdings eine Enthaltung empfohlen. Damit will sie ausschließen, dass Scholz etwa durch Stimmen der AfD unbeabsichtigt doch noch eine Mehrheit bekommt.
Würden die Grünen für Scholz stimmen, wären das zusammen schon 324 Stimmen, also nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Dann hätte AfD mit ihren 76 Abgeordneten Scholz rein rechnerisch zu einer Mehrheit verhelfen können.
Nach Angaben von AfD-Chefin Alice Weidel wollen aber nur drei Abgeordnete für Scholz stimmen. Diese sorgten sich „um einen Kriegskanzler Friedrich Merz“, der damit zündele, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern, sagte Weidel. Namen nannte sie nicht. Nach dpa-Informationen handelt es sich um die Abgeordneten Jürgen Pohl, Christina Baum und Edgar Naujok. Ein oder zwei Abgeordnete könnten sich den Informationen zufolge außerdem enthalten, hieß es weiter.
Die 196 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion werden nach Angaben ihres Parlamentsgeschäftsführers Thorsten Frei geschlossen gegen Scholz stimmen. „Wir werden ihm 196-fach das Misstrauen aussprechen“, sagte Frei der Deutschen Presse-Agentur.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geht dagegen davon aus, dass seine Fraktion ihrem Kanzler klar den Rücken stärken wird. Die Unterstützung für Scholz unter den 207 SPD-Abgeordneten sei „absolut deutlich“, sagte er. „Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Bundeskanzler allen Zuspruch geben, den er braucht, aber den er auch verdient hat.“
Wenn Scholz wie beabsichtigt und erwartet keine Mehrheit im Bundestag bekommt, wird er gleich nach der Sitzung ins Schloss Bellevue fahren und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen.
Der hat dann 21 Tage Zeit sich zu entscheiden, ob er zustimmt und eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen ansetzt. Da es im Bundestag eine große Einigkeit darüber gibt, dass die ursprünglich für den 28. September 2025 geplante Bundestagswahl vorgezogen werden soll, gilt die Zustimmung Steinmeiers als sicher. Er hat auch schon signalisiert, dass er mit dem angestrebten Termin 23. Februar einverstanden ist.
Er will aber zunächst Gespräche mit allen Fraktionen und Gruppen im Bundestag führen, in dem insgesamt acht Parteien vertreten sind. Das sei „gute Staatspraxis in Deutschland“, sagte er in einem am Wochenende veröffentlichten ARD-Interview und mahnte Ruhe und Sorgfalt in dem weiteren Verfahren an. „Wir sollten jetzt nicht huddeln. Die Hektik der Tagespolitik und die Schlagzahl der Medien gibt jetzt nicht das weitere Verfahren vor, sondern die Verfassung und ihre Regeln.“
Scholz bleibt voll handlungsfähig
Auf den Status des Kanzlers und die Regierung hat die Vertrauensfrage keine Auswirkung. Der Kanzler und seine Regierung bleiben im Amt – und zwar im vollen Umfang und nicht nur geschäftsführend. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestags höchstens 30 Tage nach der Wahl endet laut Artikel 69 Grundgesetz das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Verhandlungen über eine neue Regierungskoalition noch nicht abgeschlossen sind, kann der Bundespräsident die alte Regierung bitten, die Amtsgeschäfte bis zur Vereidigung der neuen weiterzuführen.