Brustkrebs soll Metastasen vor allem im Schlaf freisetzen. Darauf deutet eine Schweizer Studie hin.
Doch wachsen Brustkrebs und seine Tochtergeschwülste tatsächlich vor allem im Schlaf? Und was bedeutet das für die Brustkrebstherapie? t-online hat bei einem Krebsexperten des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg nachgefragt, wie die Studie einzuordnen ist und was Frauen über Brustkrebsmetastasen wissen sollten.
Bei Brustkrebs bildet sich ein bösartiger Tumor in der Brustdrüse. Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg (DKFZ) zufolge erkranken in Deutschland etwa 13 von 100 Frauen im Laufe ihres Lebens an einem Mammakarzinom.
Damit ist Brustkrebs in Deutschland mit ungefähr 70.000 Neudiagnosen pro Jahr mit Abstand die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Beim unkontrollierten Wachstum der Brustkrebszellen kann es passieren, dass der Krebs in andere Körperbereiche streut.
Das heißt: Metastatische Zellen gelangen über das Blut oder die Lymphgefäße an andere Stellen des Körpers, wo sie sich ansiedeln und unter Umständen Tochtergeschwülste bilden können. Bei Brustkrebs finden sich Tumorzellen zumeist in den umliegenden Lymphknoten. Im fortgeschrittenen Stadium sind häufig die Knochen, die Leber, die Lunge und seltener Gehirn und Haut von Metastasen betroffen.
Bislang ging die Forschung davon aus, dass ein bösartiger Tumor in der Brust kontinuierlich metastatische Krebszellen freisetzt und es keinen bestimmten Zeitpunkt gibt, an dem Brustkrebs mehr oder weniger wächst.
Eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, kurz ETH, von 2022 zeigt: Dem ist nicht so. Der Tumorbiologe Nicolas Aceto und sein Team beobachteten: Vor allem nachts wird der Krebs aktiv und bildet deutlich mehr zirkulierende Tumorzellen, sogenannte CTCs (circulating tumor cells). Fast 80 Prozent der ermittelten CTCs stammten aus der nächtlichen Blutprobe der Brustkrebsbetroffenen. Und nicht nur das: Die nachtaktiven metastasierungsfähigen CTCs verhalten sich laut den Wissenschaftlern zudem deutlich aggressiver und wachsen schneller.
„Diese Studie liefert bahnbrechende neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Brusttumorforschung und der metastatischen Streuung von Tumorzellen“, sagt Professor Dr. Hellmut Augustin von der Universität Heidelberg und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Die Studienergebnisse deuteten darauf hin, dass der Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen eine wichtige Rolle beim Fortschreiten von Tumorerkrankungen einnehme.
Professor Dr. Hellmut Augustin ist Professor für Vaskuläre Biologie und Tumorangiogenese an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg und Leiter der Abteilung für Vaskuläre Onkologie und Metastasierung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
Hinzu kommt eine weitere Einflussgröße: Nicht nur, dass Tumoren nachts aktiver zu sein scheinen und mehr metastatische Zellen freisetzen. Damit ist auch die Anzahl an CTCs im nächtlichen Blut höher. Und das scheint unter anderem auf die nächtlichen körperlichen Gegebenheiten zurückzuführen zu sein. Laut dem Krebsexperten kommen im Schlaf verschiedene Faktoren zum Tragen, welche dazu führen können, dass nachts eine größere Menge zirkulierender Krebszellen im Blut vorhanden ist.
So sinkt im Schlaf unter anderem der Blutdruck und der Puls wird langsamer – was den Blutfluss verändert. Auch die hormonelle Situation ist anders als tagsüber, das zeigt sich unter anderem an den Melatonin-, Testosteron-, Insulin- und Glukokortikoid-Spiegeln. „Diese veränderte hormonelle Situation sowie der langsamere Blutfluss haben zur Folge, dass sich die Eigenschaften der streuenden Tumorzellen und die auf sie wirkenden biomechanischen Belastungen verändern. Sie haben damit bessere Chancen, in der Blutzirkulation zu überleben“, sagt Augustin.
Dennoch warnt der Krebsexperte davor, Angst vorm Schlafen zu entwickeln. Schlaf töte nicht, betont er. Und auch weniger zu schlafen, sei keine Lösung. Denn: „Auch wenn viele CTCs im Blut zirkulieren, heißt das nicht, dass diese an einem anderen Ort im Körper automatisch einen Tumor bilden“, sagt Augustin.
„Die meisten metastatischen Zellen in Blut und Lymphgefäßen sterben aufgrund der mechanischen Belastungen ab. Nur wenige finden tatsächlich eine metastatische Nische, wo sie sich ansiedeln können“, sagt Augustin. Diese müssten dann zudem tatsächlich das Potenzial in sich tragen, eine Tochtergeschwulst zu bilden. Da täten jedoch nur wenige. Metastatische Krebszellen könnten sich ansiedeln, ohne sich zu vermehren. Sie könnten auch viele Jahre schlafen und erst irgendwann aktiv werden. „Oder sie beginnen zeitnah mit der Zellvermehrung, sagt Augustin.“
Dem Experten zufolge kommt es weniger auf die tatsächliche Menge der CTCs im Blut an als auf die Aggressivität einzelner Krebszellen. Das bedeutet: Mehr zirkulierende Krebszellen im Blut bedeuten nicht automatisch ein größeres Risiko für die Bildung von Metastasen.