Mehr als 200 Bandidos sind zu den Hells Angels übergelaufen. Im Netz präsentieren sich die Rocker martialisch – und tauschen erste Feindseligkeiten aus.
Steht ein blutiger Rocker-Krieg unmittelbar bevor? Diese Sorge treibt derzeit die Ermittler in NRW an. Der Grund ist ein massiver Überlauf von Bandidos zu den Hells Angels. „Ein Wechsel dieses Umfangs ist bisher nicht vollzogen worden“, teilte das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt t-online mit. „Die Vorgänge beziehen auch Führungspersonen des Bandidos MC mit ein.“
Berichten zufolge geht es um fast 250 Rocker aus mehr als 20 Untergruppen, sogenannten Chaptern, die die Seiten gewechselt haben. Dabei riss wohl auch die Führungsspitze der Bandidos auseinander. Clubgründer Leslav Hause soll übereinstimmenden Meldungen zufolge unter den Überläufern sein. Sein Kompagnon, Bandidos-Mitbegründer Peter Maczollek, soll hingegen bleiben und nun alleiniger Bandidos-Boss werden.
„Wie ein Geschwisterpaar“ seien Hause und Maczollek in der Vergangenheit aufgetreten, sagte Szenekenner Michael Ahlsdorf t-online. Doch jetzt gab es offenbar Familienzwist. „Die übrig gebliebenen Bandidos werden nicht erbaut sein“, schätzt der ehemalige Chefredakteur der Zeitschrift „Bikers News“ die Lage ein.
Jetzt ringt das LKA damit, die Gefahr konkret einzuschätzen. Eine abschließende Bewertung sei derzeit nicht möglich, teilte die Behörde t-online mit. Aber die Beamten sind definitiv alarmiert: Die Situation werde fortlaufend gemeinsam mit lokalen Polizeibehörden analysiert. Man stimme sich dabei auch mit Partnern auf Bundesebene ab.
Die übergelaufenen Rocker feiern ihren Coup derweil im Internet. „Es wurde Geschichte geschrieben“, tönen sie. NRW sei nun rot-weiß, heißt es in Bezug auf die Farben der Hells Angels. Ein von mehreren Rockern verbreitetes Foto zeigt Dutzende Männer in einem Festsaal. „Danke für das Vertrauen“, steht darunter.
Aber auch die Gegenseite langte zu. Im Netz kursiert eine Fotomontage, die einen der Überläufer in einem rosa Tutu zeigt. Der Dortmunder Ex-Bandido und nun Neu-Hells-Angel, der zu den federführenden Köpfen bei dem Deal gehört haben soll, reagierte bei Instagram gereizt: So eine Montage sei etwas anderes als ihn persönlich zu packen und in ein Tutu zu stecken, erklärte er. „Weil das schafft ihr Nuttensöhne nicht mal mit 20 Leuten. Sonst hättet ihr es schon längst versucht oder gemacht.“
Ob auf die wechselseitigen verbalen Attacken demnächst rohe Gewalt folgt, ist noch unklar. Rocker-Kenner Ahlsdorf sagt: „Möglich ist alles.“ Das Horrorszenario wären lang andauernde Auseinandersetzungen wie vor Jahren, nachdem sich Ende 1999 zuerst der Motorradclub Bones MC komplett den Hells Angels angeschlossen hatte und kurz darauf der Ghostrider’s MC in den Bandidos aufgegangen war.
„Aber die Zeiten sind vorbei“, hofft Ahlsdorf. Die Szene habe in den vergangenen Jahren dazugelernt, die Clubs wüssten inzwischen, dass man auch miteinander reden könne. „Freunde werden das nicht“, ist sich Ahlsdorf zwar sicher. „Aber mit solchen Dimensionen der Fehde wie früher rechne ich nicht mehr.“
Wenn es allerdings knallt, könnte es hart werden. Bandidos wie Hells Angels bezeichnen sich als „One Percenter“. Das bedeutet: Wenn 99 Prozent der Biker friedlich und gesetzestreu sind, dann sieht sich dieses eine Prozent außerhalb des Gesetzes. Im Netz posieren die Rocker immer wieder mit schweren Waffen. Und vor Gericht werden ständig Gewalttaten verhandelt: Im Mai kassierte ein Ex-Hells-Angel in Köln lebenslang für einen Auftragsmord. Im Juni wurden in Duisburg zwei Männer wegen einer Schießerei zwischen Hells Angels und Clanmitgliedern zu zweieinhalb beziehungsweise fünf Jahren verurteilt. Und im August endete der Prozess gegen zwei Hells Angels wegen eines Stückel-Mordes vor zehn Jahren lediglich mit Freispruch, weil ein Kronzeuge seine Aussage wieder zurückgezogen hatte.
Ein Polizist sagte vor Gericht, er habe „aus Rockerkreisen“ von einer hohen Geldzahlung an den Kronzeugen gehört. Diese Information stamme allerdings vom Hörensagen.