Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay plädiert dafür, Migrations- und Sicherheitspolitik nicht zu vermengen. Die jüngste Asylabstimmung im Bundestag habe falsche Signale gesendet.
Die Asylabstimmung im Bundestag hat Empörung ausgelöst – CDU-Chef Friedrich Merz hatte in Kauf genommen, dass eine Mehrheit für einen Antrag zur Migrationspolitik im Bundestag nur mit Stimmen der Alternative für Deutschland (AfD) zustande kam. Auch in Hannover gab es teils heftige Reaktionen darauf – Aktivisten besetzten den Balkon der CDU-Parteizentrale, die „Omas gegen Rechts“ luden Parteimitglieder von CDU und FDP für ihre Demo am Samstag aus.
Welchen Blick Belit Onay, Oberbürgermeister der Stadt Hannover und Mitglied der Grünen, auf die Vorgänge hat, erzählt er im Interview mit t-online. Und erklärt, was sich aus seiner Sicht im Hinblick auf die Migrationspolitik ändern sollte.
t-online: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie aufwühlend fanden Sie die vergangene politische Woche?
Belit Onay: Zwölf. Es war eine extrem aufwühlende Woche. Oft hat man das Gefühl, dass sich alle mit großen Worten überbieten, die das beschreiben sollen. Aber in diesem Fall trifft es zu, denn im Bundestag hat sich ein Vorgang ereignet, der in vielerlei Hinsicht falsch war.
Was fanden Sie falsch daran?
Zum einen, dass die CDU eine Mehrheit mit der AfD organisiert hat. Es war glasklar, dass die AfD dafür stimmen wird und nur damit eine Mehrheit zustande kommt. Alice Weidel steht für das Thema „Remigration“ und diese AfD schafft nun zu einem migrationspolitischen Thema die Mehrheiten. Man muss sich klarmachen, mit wem man da paktiert. Wenn du mit solchen Faschisten, mit solchen Rassisten paktierst, dann veränderst du nicht die Rassisten. Sondern die Rassisten verändern dich – die Partei, die Art zu sprechen und damit auch im Ergebnis irgendwann das gesamte Land.
Ich hielt zudem den inhaltlichen Schritt für falsch. Der Familiennachzug soll eingeschränkt werden – als Reaktion auf terroristische Anschläge in Solingen und Aschaffenburg. Aber die Leidtragenden sind vor allem Frauen und Kinder, die Schutz suchen. Es ist der falsche Schluss, ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie diese Abstimmung verfolgt haben?
Am Mittwoch nach dieser ersten Wahl hat Friedrich Merz noch einmal gesprochen. Da habe ich plötzlich so einen Moment erlebt, wo ich dachte, Friedrich Merz fühlt fast dasselbe wie ich. Als er gesagt hat, er bedauere, dass es zu dieser Mehrheit gekommen sei. In dem Moment scheint ihm die historische Dimension klar geworden zu sein, die das hat, weil das natürlich nicht nur im Bundestag bleiben wird. Es wird eine Wucht entfalten und als Legitimationsgrundlage dienen für alle anderen, die bis dato vielleicht noch Hemmungen hatten, mit der AfD zu paktieren.
Belit Onay, Jahrgang 1981, ist seit 2019 Oberbürgermeister der Stadt Hannover. Der Jurist war 2011 bis 2014 Ratsherr der niedersächsischen Landeshauptstadt sowie zwischen 2013 und 2019 Mitglied des Landtags. Der gebürtige Goslarer wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Hannover.
Friedrich Merz hat im Nachgang unterstrichen, dass die CDU nicht mit der AfD zusammenarbeiten werde. Glauben Sie ihm das?
Wie denn? Er hat zuvor sehr klare Worte gefunden: Es werde keine Zusammenarbeit mit der AfD geben, nicht einmal die kleinste Annäherung. Wer mit der AfD stimmt, bekommt ein Parteiausschlussverfahren – das waren seine Worte. Doch genau das ist im Bundestag auf seine Initiative hin passiert. Aus meiner Sicht kann man dem Ganzen keinen Glauben schenken – er hat es mit einem Schlag selbst vom Tisch gewischt.
In Hannover haben Aktivisten heftig auf die Abstimmung im Bundestag reagiert, unter anderem die CDU-Parteizentrale besetzt. Wie bewerten Sie dieses Verhalten?
Ich lehne eine Besetzung solcher Art entschieden ab. Für die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle muss das eine beängstigende Situation gewesen sein. Was mich daran besonders umtreibt, ist die zunehmende Verrohung der politischen Debatte. Ich habe deshalb klargemacht: Wir können politisch unterschiedlicher Meinung sein, aber solche Aktionen sind nicht akzeptabel.
CDU-Politiker werfen SPD und Grünen eine Mitschuld an den Angriffen auf Parteibüros vor. Der CDU-Landesvorsitzende Sebastian Lechner forderte etwa, dass SPD und Grüne „verbal abrüsten“. Was sagen Sie dazu?
Diese Kritik ist falsch in der Sache. Ich lehne, wie gesagt, solche Besetzungen deutlich ab. Ich kenne auch niemanden aus SPD- oder Grünen-Kreisen, der das gutgeheißen oder dazu animiert hätte. Die Sprache, die wir in Hannover gewählt haben, war stets sachlich und besonnen. Es gab keine persönlichen Angriffe, keine Aufrufe zu Gewalt. Unser Fokus lag und liegt auf der inhaltlichen Auseinandersetzung – auf dem, was im Bundestag passiert ist und welche Folgen das für die Zukunft unseres Landes hat.