Kanzler Friedrich Merz hat sich und seine Politik im Bundestag das erste Mal erklärt. Seine Botschaft an die Deutschen ist groß – und heikel.
Der erhobene Zeigefinger hat heute Pause. Friedrich Merz verschränkt die Hände vor dem Bauch, hält sich am Rednerpult fest, nur selten löst er sich. Seinen sonst typischen zackigen Zeigefinger einzusetzen, vermeidet er an diesem Mittwochmittag im Bundestag. Wie Merz auch sonst in seiner ersten Regierungserklärung vieles meidet, was ihn noch vor einigen Wochen als Oppositionsführer ausgemacht hat. Zufall ist das nicht.
Nach seinem Fehlstart, dem Scheitern im ersten Wahlgang, mühte sich Merz vergangene Woche, bienenfleißig in seine Kanzlerschaft zu starten. Paris und Warschau an Tag eins, Weltkriegsgedenken und Trump-Telefonat an Tag zwei, Brüssel an Tag drei und an Tag vier war der Kanzler schon in Kiew, buchstäblich im Kriegsgebiet.
Friedrich Merz, Kanzler von Weltformat, sollte das wenig bescheidene Signal sein. Wie das handelsübliche Format des Kanzlers in der Heimat aussehen würde, blieb in diesen Tagen undeutlich. In der Union verwiesen sie dafür auf Merz‘ erste Regierungserklärung an diesem Mittwoch – „vielleicht eine seiner wichtigsten Reden in diesem Jahr“, wie sein Generalsekretär Carsten Linnemann versprach.
Und die Botschaft des Kanzlers, das ist nach seiner Rede klar, ist zwar nicht ganz das „Wir schaffen das“ seiner Widersacherin Angela Merkel. Natürlich nicht. Aber es soll eben doch ein versöhnendes „Wir können das“ sein – verbunden mit einem mahnenden: sofern ihr euch alle genug anstrengt.
Schon das zeigt: Die Grenze zwischen „Wir können das“-Kanzler und Zeigefinger-Kanzler ist nach wie vor fließend. Und auch sonst ist es eine heikle Wette.
Friedrich Merz beginnt seine erste große Rede als Bundeskanzler zurückhaltend – und nimmt nie wirklich Fahrt auf. Die Fahrt, für die Merz noch als Oppositionsführer berühmt-berüchtigt war. Seine Rede ist nicht konfrontativ, sondern konziliant. Nicht schnittig, sondern salbungsvoll. Wer es böse meint, könnte sagen: nicht feurig, sondern fade.
Friedrich Merz braucht dann auch 11 Minuten länger und damit fast eine Stunde. Das neue Merz-Tempo, davon darf man ausgehen, ist ein bewusst gewähltes Stilmittel. Um sich nicht nur vom schnittigen, sondern auch vom polternden Oppositionsführer Merz abzugrenzen.
Merz versucht in seiner Rede, die Verletzungen der noch gar nicht so fernen Vergangenheit mit einer einenden Botschaft zu versorgen. Noch wenige Tage vor der Bundestagswahl hatte Merz gewettert, er wolle nicht „für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt“ Politik machen. Sondern für diejenigen, die „alle Tassen im Schrank“ haben.
Jetzt, als Bundeskanzler, klingt Merz plötzlich ganz anders. Seine Regierung stelle sich „in den Dienst unseres Landes und aller seiner 84 Millionen Bürgerinnen und Bürger“, sagt er, und später: Man wolle auch „regieren, um Zusammenhalt zu stiften, wo er uns abhandenzukommen droht“.
Es ist die sprichwörtliche ausgestreckte Hand, die Merz den Menschen hinhält. Und nicht nur den Menschen im Land, sondern auch seinem Vorgänger Olaf Scholz. „Sie, Herr Kollege Scholz, und Ihre Regierung haben Deutschland durch Zeiten außergewöhnlicher Krisen geführt“, sagt Merz. „Ihre Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war wegweisend und sie war historisch.“
Video | Merz lobt Vorgänger Scholz: „Die Reaktion war historisch“

