Bundestagswahl
Merz, Merkel, AfD – was von einer denkwürdigen Woche bleibt
Aktualisiert am 01.02.2025 – 05:00 UhrLesedauer: 4 Min.
Die AfD verhilft einem Unionsantrag zur Migrationspolitik zur Mehrheit. Die politische Konfrontation gipfelt am Freitag in einer außergewöhnlichen Bundestagssitzung. Eine Woche, die nachwirken wird.
Erst das Bundestagsvotum über einen CDU/CSU-Antrag für eine schärfere Migrationspolitik mit Hilfe der AfD, dann ein beispielloser Showdown im Parlament – der Ton bis zur Bundestagswahl am 23. Februar ist gesetzt. Sieben Lehren aus einer denkwürdigen Woche:
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) ist aufs Ganze gegangen und hat die politische Stimmung im Land weniger als einen Monat vor der Bundestagswahl zum Kochen gebracht. Das Ergebnis: maximale Zuspitzung und Mobilisierung der politischen Lager.
Die AfD verhilft einem Unionsantrag für Zurückweisungen an den Grenzen, den SPD und Grüne ablehnen, mit ihren Stimmen zur Mehrheit. Die Union argumentiert, eine richtige Entscheidung werde nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. SPD, Grüne und Linke sprechen dagegen von einem Tabu- und Dammbruch.
Der Publizist Michel Friedman tritt aus Protest aus der CDU aus, zwei Träger des Bundesverdienstkreuzes, einer davon ein Holocaust-Überlebender, kündigen an, ihre Auszeichnungen zurückzugeben. Zehntausende treffen sich zu Demonstrationen in Großstädten gegen die Union, auch vor deren Parteizentralen, Demonstranten dringen in ein CDU-Büro in Berlin-Wilmersdorf ein und in die Geschäftsstelle des CDU-Kreisverbands Hannover.
In Erinnerung bleiben von dieser Woche Szenen und Bilder mit Symbolkraft: Triumphierende AfD-Politiker, die nach der Abstimmung im Plenarsaal für ein Selfie posieren, AfD-Mann Bernd Baumann, der mit geschwellter Brust vom Rednerpult in den Plenarsaal ruft: „Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche und das führen wir an!“, die SPD-Fraktion mit bedrückten Gesichtern, versammelt hinter ihrem Fraktionschef Rolf Mützenich, der in einem Pressestatement seiner Empörung Ausdruck verleiht und zwei Tage später an Merz appelliert, das „Tor zur Hölle“ nach dem Sündenfall noch gemeinsam zu schließen oder die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek, die nach dem AfD-Abstimmungserfolg aufgebracht „auf die Barrikaden!“ ruft.
Normalerweise halten sich frühere Kanzler mit Kommentaren zu aktuellen Themen zurück. Bei diesem Thema macht Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Ausnahme, greift mit einem außergewöhnlichen Schritt aus der Polit-Rente in die Debatte ein und fällt damit dem Kanzlerkandidaten ihrer Partei mitten im Wahlkampf in den Arm. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt sie Merz“ Vorgehen für „falsch“. Lob kommt von SPD- und Grünen-Politikern.
Merz, der seit seinem Amtsantritt als Parteichef gegen Widerstände von Merkel-Anhängern in der eigenen Partei versucht, die CDU auf einen Kontrast-Kurs zu deren Flüchtlingspolitik zu bringen, entgegnet bei einem Wahlkampfauftritt: Dass die AfD seit 2017 im Bundestag sitze, habe etwas mit der Politik der vergangenen Jahre zu tun. „Und dafür trägt auch meine Partei eine gehörige Verantwortung.“ Ohne Merkels Namen zu nennen, ist klar, wer gemeint ist. Politik müsse so weit korrigiert werden, dass die AfD in Deutschland nicht mehr gebraucht werde, sagt Merz.
Es ist die alte hitzig diskutierte Kernfrage, die kurz vor der Bundestagswahl nun wieder ganz oben steht: Wer und welche Politik hat Verantwortung für den Aufstieg der AfD, und wie lässt sich ein weiterer Aufstieg stoppen? Die Anhänger der Denkschule von Merz sind sich sicher: Die Union war unter Merkel zu links, hat Probleme beim Thema Migration zu lange nicht adressiert und damit rechts eine Lücke gelassen, die von der AfD gefüllt wurde. Entsprechend sind sie für eine harte Linie, um der AfD wieder das Wasser abzugraben.