Mit 20 Jahren gibt Anna Barth erfahrenen „Seelbären“ den Kurs vor. In der SailGP-Serie, der Formel 1 des Segelns, ist sie die einzige Frau im deutschen Stammteam. Nicht nur dank der Hilfe von Sebastian Vettel hat Barth große Ziele.
Ob auf einer Formel-1-Gerade mit über 300 oder bei einer Tour-de-France-Abfahrt mit fast 100 km/h – ohne Bremsen geht es im Rennsport nicht. Eigentlich. Doch im Hochgeschwindigkeitssegeln liegen die Dinge anders.
In der aufstrebenden SailGP-Serie schießen High-Tech-Katamarane waghalsig schnell über das Wasser und sorgen für spektakuläre Überholmanöver und Unfälle. Anna Barth ist dabei eine Ausnahmeerscheinung – und zwar nicht nur, weil die heute 20-Jährige quasi von der Schulbank auf eine Kernposition im 4,8 Millionen Euro teuren deutschen Boot wechselte.
t-online: Frau Barth, Sie sind seit 2023 Teil des deutschen SailGP-Teams. Wie ist es, mit über 100 km/h ohne Bremse übers Wasser zu schießen?
Anna Barth: Das ist ein gigantisches Gefühl. Wir können nicht einfach abrupt stoppen, weshalb ein Teamkollege von mir es sehr treffend als „Rennsport ohne Bremse“ bezeichnet hat. Bei diesen Geschwindigkeiten ist man einfach im Flow und versucht, alles andere auszublenden. Wenn man zu sehr über die Risiken nachdenkt, kann das schon beängstigend sein.
In einer ZDF-Dokumentation wurde das auch als „Bullenreiten auf dem Wasser“ bezeichnet. Wie äußert sich das? Ist man nach einem Rennen mit blauen Flecken übersät?
Ja, manchmal ist man schon mit blauen Flecken übersät. Es kommt auf das Event und vor allem die Bedingungen an. Mit Bullenreiten würde ich es aber nicht vergleichen. Wir versuchen, mit dem Katamaran möglichst hoch übers Wasser zu fliegen – und so möglichst wenige Teile des Bootes im Wasser zu haben.
Moment. Sie fahren also gar nicht auf dem Wasser?
Wir haben sogenannten Hydrofoils, die unter das Boot montiert sind. Die Technologie hilft uns dabei, ab einer bestimmten Geschwindigkeit aus dem Wasser abzuheben. Dadurch werden wir deutlich schneller, weil sich nicht mehr die beiden Rümpfe – bei einem Katamaran sind das ja immer zwei – im Wasser befinden, sondern nur noch die Foils. Und die haben deutlich weniger Wasserwiderstand.
Wir fliegen also auf diesen sehr kleinen Foils über das Wasser (s. Video oben). Wenn wir zu hoch fliegen, kann es allerdings passieren, dass die Strömung am Foil verloren geht und das Boot ruckartig zurück ins Wasser crasht. Das wäre dann eine klassische Vollbremsung – und sorgt auch mal für blaue Flecken (lacht). Bei diesen Crashes merkt der Körper schon, was für immense Kräfte dort wirken.
Die Besatzung eines SailGP-Bootes besteht je nach Windbedingungen aus vier bis sechs Personen. Darunter muss mindestens eine Frau sein. Bei Wendemanövern übernimmt Barth kurz das Steuer, hauptsächlich ist sie aber für die übergeordnete Strategie zuständig.
Ihr offizieller Titel an Bord ist „Strategin“. Was machen Sie genau?
Als Strategin bin ich ganz hinten an Bord, stehe direkt hinter dem Steuermann im Cockpit – das sind etwa kniehohe, ovalförmige Ausschnitte in den beiden Rümpfen. Von dort habe ich den besten Überblick und schaue, wo die anderen Boote sind und wie wir am besten über den Kurs kommen. Bei zwölf Booten am Start ist da schon einiges los. Es geht darum, am effektivsten zu navigieren. Denn beim Segeln gibt es nicht nur den einen, direkten Weg, sondern wir haben ein offenes Spielfeld.
Dieses ist abgesteckt von zwei Bojen, die wir umrunden müssen. Es ist egal, ob wir diese von der rechten oder linken Seite anfahren, sondern kommt darauf an, wo der meiste Wind, die wenigsten Wellen und die wenigsten Konkurrenten sind. Wenn ein Boot vor uns ist, sorgt das für Verwirbelungen und wir bekommen dahinter „schlechteren“ Wind ab. Daher versuchen wir zu vermeiden, direkt in der Linie von anderen zu fahren. All diese Parameter muss ich im Blick behalten, schnell verarbeiten und an unseren Steuermann Erik Heil und das Team kommunizieren.