Bei „Maischberger“ verzichtet der Ex-Finanzminister auf eine Abrechnung mit dem Kanzler. Dessen politisches Karriereende sei nah, prognostiziert der Journalist Theo Koll.
Seit dem Ende der Ampelkoalition ringen die Beteiligten um die Deutungshoheit über die Gründe und Umstände, die zum endgültigen Bruch zwischen SPD, Grünen und FDP führten. Nachdem Kanzler Olaf Scholz (SPD) am vergangenen Sonntag bei „Caren Miosga“ erneut Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) als Hauptverantwortlichen benannt hatte, nutzte dieser am Mittwochabend die Chance, in der ARD-Talksendung „Maischberger“ seine Version der Vorfälle zu präsentieren. Der FDP-Vorsitzende zeigte sich dabei deutlich zurückhaltender und verzichtete anders als Scholz bewusst auf direkte Attacken.
- Christian Lindner, FDP-Vorsitzender
- Michael Mittermeier, Comedian
- Kerstin Palzer, Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio
- Theo Koll, Phoenix-Moderator
- Jakob Augstein, Verleger „Der Freitag“
- Nikolaus Blome, Leiter des Politikressorts von RTL/n-tv
„Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, dass ich mich dazu gar nicht äußere“, kommentierte Lindner die persönlichen Anschuldigungen des Regierungschefs. Scholz hatte ihm unter anderem vorgeworfen, Klientelpolitik betrieben und sein Vertrauen wiederholt gebrochen zu haben. Dass Lindner den Ton und Stil dieser Äußerungen missbilligt, brachte er nur indirekt zum Ausdruck. Demokratie sei auch eine gewisse Form des Benehmens, sagte er dazu. Er werde, weil ihm die politische Kultur des Landes wichtig sei, keinen Stein, der ihm hinterhergeworfen worden sei, aufheben und zurückwerfen, so der FDP-Chef weiter.
Seine Entlassung empfinde er im Nachhinein eher als Befreiung. „Ich habe es inzwischen seelisch verarbeitet“, erklärte das ehemalige Kabinettsmitglied, gestand aber auch ein: „Ich war schon angefasst.“ Er sei für seine politischen Grundüberzeugungen in ein volles Risiko gegangen. „Die FDP und ich selbst, wir haften mit unserer politischen Existenz dafür, dass wir der Überzeugung sind, unser Land braucht eine solide Wirtschaftspolitik, braucht eine verlässliche Finanzpolitik, braucht einen neuen Aufbruch“, bescheinigte Lindner sich und seiner Partei.
Zum Entschluss seines ehemaligen Partei- und Kabinettskollegen Volker Wissing, die FDP zu verlassen und in der Bundesregierung zu bleiben, fand Lindner folgende Worte: „Ich wünsche ihm alles Gute für seinen weiteren Weg. Er hat für sich eine Entscheidung getroffen, aber ich bin als Parteivorsitzender nicht mehr zuständig für ihn.“ Wissings Kritik am Auftreten der FDP in der Ampelkoalition wollte Lindner dementsprechend nicht kommentieren.
Der Regierung stellte er rückblickend ein gemischtes Zeugnis aus. Es seien auch Dinge erreicht worden. Als Beispiel nannte der Ex-Finanzminister den Kampf gegen die Inflation und das Abwenden einer Energiekrise. Nun aber brauche das Land einen Politikwechsel hin zu wirtschaftlicher Prosperität, Pragmatismus und Eigenverantwortung. Zu seiner eigenen Zukunft äußerte sich der FDP-Vorsitzende nur vage. „Ich habe das Gefühl, ich bin noch am Anfang meiner politischen Arbeit“, sagte er und fügte mit etwas Humor hinzu: „Eine Kanzlerkandidatur schließe ich aus.“
Für seinen Auftritt erhielt der Liberale in der Sendung das Lob von Jakob Augstein. Der Journalist befand, Lindner habe das sehr, sehr gut gemacht, und äußerte Verständnis für den Ausstieg aus der Regierung. Den Vorwurf, der Ex-Finanzminister habe die Regierung aus rein ideologischen Gründen platzen lassen, nannte Augstein „ein bisschen eigenartig“. Ein Rest Prinzipientreue sei für einen Politiker vielleicht gar nicht so schlecht, urteilte er.
Augsteins angestammter Streitpartner Nikolaus Blome nahm stattdessen Scholz in Schutz. Der Regierungschef sei nach langem Zwist aus der Haut gefahren. Dass er Lindner nun noch etwas Übles nachrufe, sei nicht die allerfeinste Art, aber auch nicht so schlimm.
„Doch“, konterte Augstein. „Ich fand es echt hart und unmöglich“, konstatierte er. Scholz habe an Lindner einen Charaktermord nach dem anderen begangen, sagte der Verleger der Wochenzeitung „Der Freitag“. Sein Fazit lautete: „Das war kein Affekt, sondern eine geplante Tat.“
Auch bei der Prognose für die künftige Regierungskoalition war das streitlustige Podcaster-Duo geteilter Meinung. Während Augstein von einer großen Koalition unter Führung der Union ausging, tippte Blome auf ein schwarz-grünes Bündnis.
Im Kommentatoren-Panel, bestehend aus dem Komiker Michael Mittermeier, der ARD-Korrespondentin Kerstin Palzer und dem Phoenix-Moderator Theo Koll herrschte hingegen Einigkeit. Alle drei übten scharfe Kritik am gegenseitigen Umgang der Koalitionspartner in der Ampelregierung. Es habe an Respekt gemangelt, erklärte etwa Palzer. Keiner habe dem anderen mehr irgendetwas gegönnt. Das Wirtschaftspapier, mit dem die FDP die SPD konfrontiert habe, sei „ein Aufkündigen mit Anlauf“ gewesen. Scholz‘ anschließende Entlassung seines Finanzminiministers weckte bei der Journalistin wiederum Assoziationen an den Kindergarten. Mittermeier fühlte sich an ein klassisches Blame Game und schlechtes Theater erinnert. An eine zweite Scholz-Kanzlerschaft möchte der Comedian vor diesem Hintergrund nicht glauben.