Bundesverfassungsgericht
Kostet die Einheit heute noch Geld? Karlsruhe prüft Soli
Aktualisiert am 12.11.2024 – 18:45 UhrLesedauer: 4 Min.
Seit Jahrzehnten gibt es Streit um den Solidarzuschlag. Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung halten viele ihn für überflüssig. Hält die Abgabe einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand?
Am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe steht der Solidaritätszuschlag auf dem Prüfstand. Der Zweite Senat wolle sich mit einer Reihe verfassungsrechtlicher Fragen zu der Ergänzungsabgabe befassen, sagte die Vorsitzende Richterin, Doris König, zu Beginn der mündlichen Verhandlung. Unter anderem gehe es darum, inwiefern die Deutsche Einheit weiterhin zusätzliche Finanzierung benötigt. Seit 2021 gilt der Soli für 90 Prozent der Steuerzahler schon nicht mehr, aktuell geht es um die verbliebenen Betroffenen wie Gutverdiener und Unternehmen.
Konkret verhandelt das höchste deutsche Gericht über eine Verfassungsbeschwerde von sechs FDP-Politikerinnen und -Politikern. Sie meinen, die Erhebung des ursprünglich mit der Finanzierung der Wiedervereinigung begründeten Solidaritätszuschlags sei mit Auslaufen des Solidarpakts II Ende 2019 verfassungswidrig geworden. „Eine stillschweigende Umwidmung der Ergänzungsabgabe ist unzulässig“, sagte ihr Bevollmächtigter Henning Berger. Es sei eine „Normallage“ eingetreten, die einer Fortführung entgegenstehe. Zudem kritisieren die Kläger, Bezieher unterschiedlicher Einkommen würden ungleich behandelt.
Richterin Rhona Fetzer, die Berichterstatterin in dem Fall ist, sagte, die Beschwerdeführer verfolgten ihr politisch gescheitertes Ziel nun juristisch weiter. Die Verfassungsbeschwerde sei unter fünf anhängigen Verfahren als Pilotverfahren ausgewählt worden. Ein Urteil spricht das Gericht in der Regel erst einige Monate später. (Az. 2 BvR 1505/20)
Der Bund verteidigt den Soli und argumentiert, durch die Folgen der Wiedervereinigung ergebe sich noch heute ein erhöhter Finanzbedarf. Als Bevollmächtigter der Bundesregierung sagte Kyrill-Alexander Schwarz: „Politische Prozesse sind nicht zwingend vorhersehbar.“ Das Gericht habe auch immer die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Finanzierungsfragen betont. Schwarz verwies zudem darauf, dass der Bundesfinanzhof in einem Urteil 2023 nicht von der Verfassungswidrigkeit des zugrundeliegenden Gesetzes überzeugt gewesen sei.
Gleichzeitig stellten die Bundestagsabgeordneten Michael Schrodi (SPD) und Andreas Audretsch (Grüne) infrage, ob eine Ergänzungsabgabe wie der Soli zwangsläufig nur der Deckung einer bestimmten, ursprünglich definierten Finanzlast dienen dürfe. Die Aufgaben des Staates seien in den letzten Jahren nicht weniger geworden, betonte Audretsch – und verwies auf Mehrkosten etwa durch den Infrastruktur-Ausbau, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die Bewältigung der Klimakrise. Es gebe keinen Normalzustand.
Aus seiner Sicht ist es auch vom Sozialstaatsgebot gedeckt, dass nur Gutverdiener belastet werden. Zumal die Unterschiede zwischen Arm und Reich größer würden.
Mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Steuerart „Ergänzungsabgabe“ hatte das Bundesverfassungsgericht sich schon 1972 einmal beschäftigt. Der Senat habe damals entschieden, eine Ergänzungsabgabe müsse von der Verfassung her nicht von vornherein befristet sein, sagte König. Der Gesetzgeber dürfe zudem sozialen Erwägungen Rechnung tragen. Ob eine Ergänzungsabgabe abgeschafft werden müsse, wenn die Voraussetzungen für die Erhebung entfielen, habe das Gericht damals ausdrücklich offen gelassen, so König.
Inwiefern eine Ergänzungsabgabe wie der Soli rechtlich zwingend einen bestimmten Aufgabenbezug braucht, wurde in der Verhandlung intensiv diskutiert. Das Gericht hatte verschiedene Sachverständige von Universitäten und Forschungsinstituten geladen, die teils entgegengesetzte Positionen einnahmen.
Ein vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebenes Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Frühjahr 2020 spiele bei der Frage nach dem zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes eine wichtige Rolle, sagte König zu Beginn der Verhandlung. In dem Gutachten wurden vereinigungsbedingte überproportionale Belastungen des Bundeshaushalts bis zum Jahr 2030 geschätzt.
Der Bevollmächtigte der Kläger, Berger, kritisierte, der vereinigungsbedingte Finanzbedarf werde im Gutachten benannt, jedoch nicht belegt. Der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Reint Gropp, der als Sachverständiger geladen war, um das DIW-Gutachten zu bewerten, erklärte, ein Großteil der darin genannten Herausforderungen im Osten seien auf eine Abwanderung von Ost nach West zurückzuführen. Aus einer solchen könne man aber nur eine notwendige Umverteilung ableiten – nicht aber einen zusätzlichen Finanzbedarf.