Das Russland-Papier der SPD-Linken bringt Lars Klingbeil in eine schwierige Lage. Der SPD-Chef will vor dem Parteitag keine Fehler machen, doch zu warten, könnte seine Autorität langfristig untergraben.
In der SPD kommt die Debatte um das „Friedensmanifest“ prominenter SPD-Linker weiter nicht zur Ruhe. Am Montag distanzierte sich die SPD-Betriebsgruppe Bundeswehr, ein Zusammenschluss von Soldaten und Reservisten in der SPD, von dem Dokument. Die Genossen warfen den Unterzeichnern vor, die russische Bedrohung zu verharmlosen und den Frieden in Europa zu gefährden.
Fast zeitgleich äußerte sich der SPD-Chef und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil. Bei einer Veranstaltung der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf versicherte Klingbeil, dass die deutschen Rüstungsausgaben im Gleichschritt mit den Nato-Partnern steigen werden. „Und wenn das am Ende heißt, drei Prozent, dann machen wir drei Prozent, wenn das heißt 3,5 Prozent, machen wir 3,5 Prozent.“
Die Tatsache, dass der SPD-Chef Klingbeil eine Linie vorgibt, die der SPD-Abgeordnete Stegner am selben Abend aufkündigt, ist bemerkenswert. Schon vergangene Woche, als das „Manifest“ erschien, wirkte Klingbeil überrumpelt. Erst verspätet distanzierte er sich von einigen Aussagen in dem Papier und stellte klar, dass es keine Kehrtwende in der Ukraine-Politik geben werde. Zugleich aber würdigte er das „Manifest“ als Debattenbeitrag, was sich durchaus als Ermunterung verstehen ließ, die Diskussion weiter anzufachen.
In den Äußerungen des Parteichefs in den vergangenen Tagen lässt sich ein roter Faden erkennen: Klingbeil zieht seine eigene Position glatt, lässt aber den Raum für konträre Meinungen offen. Das erstaunt nicht nur deswegen, weil die „Manifest“-Autoren um Stegner die offizielle SPD-Politik infrage stellen. Sondern auch, weil sie direkt Klingbeils Kurs angreifen, der für eine neue Russlandpolitik der Sozialdemokraten steht. Und doch scheint der SPD-Chef die direkte Konfrontation mit dem linken Parteiflügel zu scheuen. Warum?
Klar ist: Für den SPD-Chef kommt die Debatte zur Unzeit. In zwei Wochen findet in Berlin der Bundesparteitag der SPD statt, dann wird die komplette Führung neu gewählt. Klingbeil hofft auf ein gutes Ergebnis bei seiner Wiederwahl als Parteichef und will sich zudem ein Mandat holen für seine machtpolitische Neuausrichtung der SPD. Klingbeil hatte die Partei in den vergangenen Monaten personell umgepflügt, altgediente Genossen aus Funktionen gedrängt und mit Vertrauten ersetzt, die Partei insgesamt stärker auf sich zugeschnitten.
Klingbeil hofft daher auf einen möglichst geräuschlosen Parteitag. Angesichts der historischen Wahlschlappe im Februar, die er maßgeblich mitzuverantworten hat, ist das aber alles andere als selbstverständlich.
In der Debatte um das „Manifest“ der SPD-Linken will Klingbeil daher, so vermuten es einige in der Partei, den Ball flach halten. Ein allzu offensives Eingreifen in die Debatte könnte den Unmut der prominenten SPD-Linken Stegner und Mützenich weiter anfachen – und schlimmstenfalls in eine offene Konfrontation auf dem Parteitag münden. Andererseits birgt auch Klingbeils Zurückhaltung Risiken. Lässt er seinen Kritikern zu viel Spielraum, könnte seine Autorität als Parteivorsitzender beschädigt werden.
Fest steht: Auch wenn der SPD-Chef das „Manifest“ nicht als persönlichen Angriff verstehen will, richtet sich der Text an zentralen Stellen auch gegen Klingbeil und dessen außenpolitischen Kurs, der spätestens Ende 2023 offizielle SPD-Linie ist.