Verfassungsschutz und Innenministerium wollten nicht, dass das AfD-Gutachten öffentlich wird. Jetzt ist es das – und ein Mann gerät unverschuldet in Verdacht, es durchgestochen zu haben.
In der Bundesdruckerei gibt es einen Mann, der am Dienstag das Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD verflucht haben könnte. Es bereitet Sven K. Ärger, ohne dass er etwas dafür kann. Sven K. wird völlig zu Unrecht verdächtigt, das geheime Gutachten an das Magazin „Cicero“ weitergegeben zu haben, und das liegt an einem früheren SPD-Minister.
Das Magazin hatte am Dienstag unter der Überschrift „Cicero veröffentlicht das gesamte Geheimgutachten des Verfassungsschutzes zur AfD“ zwei PDF-Dokumente hochgeladen: die Seiten 1 bis 499 sowie 500 bis 1108 – das komplette, brisante Papier. Es liefert die Begründung des Verfassungsschutzes, warum er die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Vor allem das „in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis“ sei nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar, hieß es in einer Pressemitteilung des Verfassungsschutzes.
Diese Pressemitteilung ist verschwunden: Als die AfD Klage einreichte, löschte das Amt sie und setzte zugleich die Hochstufung mit einer sogenannten Stillhaltezusage aus. Das gilt zumindest, bis im Eilverfahren über die AfD-Klage entschieden ist. Es bedeutet aber nicht, dass der Verfassungsschutz jetzt anderer Auffassung ist oder Fehler einräumt.
In der Pressemitteilung hatte der Verfassungsschutz nur sehr spärlich Einblicke gegeben in das Gutachten – und es auch nicht veröffentlicht. Das dürfte in erster Linie an der Fülle personenbezogener Daten liegen, sagt der Rechtswissenschaftler Luca Manns von der Forschungsstelle Nachrichtendienste an der Uni Köln dem Portal „Legal Tribune Online“.
Für jeden der genannten Namen müsste der Verfassungsschutz sonst einzeln begründen, warum bei einer Nennung die Interessen der Allgemeinheit wichtiger sind als schutzwürdige Interessen des Betroffenen. Die Geheimhaltung hatte dennoch viel Kritik und Unverständnis ausgelöst – Tenor: Eine Entscheidung von so großer Tragweite und die Bürger dürfen die einzelnen Gründe nicht wissen.
„Spiegel“ und „BIld“ zitierten zwischenzeitlich aus dem Gutachten und schrieben, sie hätten es „einsehen“ können. Seit diesem Dienstag und der Veröffentlichung durch „Cicero“ und dann weiterer Medien ist es abrufbar. t-online liegt es inzwischen auch aus einer eigenen Quelle vor. Hier können Sie das Dokument nachlesen: Teil 1 und Teil 2. Hier lesen Sie eine Analyse unserer Redaktion.
Bei dem Verarbeiten des Gutachtens ist in der Redaktion aber offenbar ein Fehler unterlaufen, der Sven K. ins Fadenkreuz brachte. Um das zu verstehen, braucht es zunächst ein wenig technisches Grundlagenwissen: Digitale Dokumente können verräterisch sein. Sie enthalten oft versteckte Informationen – sogenannte Metadaten: Mit welcher Kamera wurde ein Foto gemacht? Wer hat einen Text zuletzt bearbeitet oder ist Autor? Das bedeutet auch, dass Journalisten das beachten müssen, wenn sie solche Dateien veröffentlichen, um die Spur zu Quellen zu verwischen.
Im PDF-Dokument des Gutachtens bei „Cicero“ findet sich eine solche Spur. In den Metadaten steht „sven K.“ als Urheber – der Vorname klein-, der Nachname groß- und ausgeschrieben. t-online kürzt ihn hier ab, um den Unbeteiligten bei der Bundesdruckerei zu schützen. Nach dem Beitrag geisterten sein Name und Bilder seines Profils in einem beruflichen Netzwerk durchs Netz – mit Kommentaren, er werde jetzt bald gefeuert. Nutzer hatten sich die Metadaten angeschaut und sich auf die Suche nach der undichten Stelle gemacht. Doch Sven K. ist nicht das Leck und ging in die Offensive. Er schaltete am Dienstag eine renommierte Medienrechtskanzlei ein.
In der Bundesdruckerei kann die undichte Stelle gar nicht liegen. Dort lag das Gutachten nach t-online-Informationen nie vor. Eine Sprecherin der Bundesdruckerei formuliert das umständlicher: „Ein Bezug zwischen dem genannten Dokument und der Bundesdruckerei ist nicht vorhanden.“ Nach t-online-Informationen fertigt das Bundesamt für Verfassungsschutz derartige Dokumente im Haus. Exemplare gingen von dort zunächst nur ans Bundesinnenministerium und an Stellen in den Ländern.