Es ist noch nicht Winter und trotzdem sind jetzt schon viele Menschen krankgeschrieben. Was dahinterstecken könnte und welche Maßnahmen Unternehmen nun ergreifen.
Hauke Evers spricht nicht gerne über den neuen Bonus. Der kaufmännische Leiter der Kieler Verkehrsgesellschaft (KVG) fürchtet sich, dass alles falsch aufgenommen und kritisiert wird. Doch die KVG war Ende vergangenen Jahres mit einem großen Problem konfrontiert. An manchen Tagen war fast ein Fünftel der Beschäftigten krankgeschrieben. Um den Busverkehr weiter zu gewährleisten, musste Evers handeln. Die Lösung der KVG: Seit diesem Jahr zahlt sie Mitarbeitern mehr Gehalt, wenn sie sich weniger krankschreiben.
Die Kieler Verkehrsgesellschaft ist mit dem Problem nicht allein.
Die Deutschen melden sich immer häufiger krank. Krankschreibungen schwanken zwar mit der Saison, doch in den vergangenen Jahren blieben die Fehlzeiten im Job auch im Sommer auf einem hohen Stand. Nach einer Auswertung ihrer Versichertendaten teilte die Krankenkasse DAK-Gesundheit mit, dass fast ein Drittel der Erwerbstätigen (30,5 Prozent) im Zeitraum von Juli bis einschließlich September mindestens einmal krankgeschrieben war.
Am häufigsten liegt das an Husten, Schnupfen und Halsschmerzen. Aktuell liegt die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen in Deutschland auf einem für die Jahreszeit vergleichsweise hohen Niveau. Für die Woche vom 14. Oktober geht das Robert Koch-Institut (RKI), unabhängig von einem Arztbesuch, deutschlandweit von rund 6,9 Millionen Betroffenen aus, wie es in einem aktuellen Bericht heißt.
Wie groß das Phänomen ist, wird an der durchschnittlichen Zahl der Krankheitstage deutlich. Im Jahr 2007 waren die Deutschen an 8,1 Tagen krankgeschrieben, der Tiefstwert seit der Wiedervereinigung. Die Zahl kletterte bis zum Jahr 2021 auf 11,1 Tage und stieg danach sprunghaft an. 2023 waren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland durchschnittlich 15,1 Arbeitstage im Jahr krankgemeldet, teilt das Statistische Bundesamt mit.
Für Hauke Evers eine große Herausforderung. Im zweiten Halbjahr 2023 meldeten sich an manchen Tagen knapp 20 Prozent der Belegschaft krank. „Wir konnten den Verkehr nicht mehr aufrechterhalten“, erinnert sich der kaufmännische Leiter. „Wenn Schichten nicht besetzt sind, fällt Leistung aus und der Aufschrei ist groß, wenn der Bus nicht kommt.“ Er setzte sich mit dem Betriebsrat zusammen und sie beschlossen kurzfristig, eine Anwesenheitsprämie einzuführen.
Demnach erhalten Busfahrer der KVG bis zu 250 Euro brutto pro Quartal zusätzlich zum Gehalt, vorausgesetzt sie waren keinen einzigen Tag krank. Im Jahr können Mitarbeiter so 1.000 Euro extra verdienen, wenn kein Fehltag anfällt. Bei bis zu vier Ausfällen im Quartal erhalten Busfahrer noch die Hälfte des Bonus, also 125 Euro.
Dabei hat sich die KVG von anderen Unternehmen inspirieren lassen. Die Hochbahn zahlt eine Anwesenheitsprämie von bis zu 670 Euro pro Halbjahr, teilt das Hamburger Verkehrsunternehmen auf Anfrage von t-online mit. Auch Tesla in Grünheide plant wohl ein ähnliches Projekt, bei dem geringe Ausfallzeiten sogar mit bis zu 1.000 Euro belohnt werden.
Das Problem solcher Boni: Sie könnten dazu führen, dass sich Mitarbeiter krank zur Arbeit schleppen – um das zusätzliche Geld zu erhalten. Das glaubt Evers jedoch nicht. Keiner seiner Mitarbeiter würde sich krank ans Steuer setzen, dafür sei der Zuschuss von ungefähr 160 Euro netto im Quartal zu gering, sagt er.
Nach der Einführung hat die KVG eine positive Bilanz zu dem Projekt gezogen. Für die Monate Mai bis August hätten rund 500 Mitarbeiter die erste Prämie erhalten, mehr als 300 bekamen sie nicht. Die langfristigen Auswirkungen sind noch unklar, die Prämie soll zunächst ein Jahr getestet werden. Die aktuelle Krankenquote liegt laut Evers bei 11 Prozent und damit leicht über dem Jahresschnitt.