Eigentlich hassen sich die Fans von Eintracht Braunschweig und Hannover 96. Doch die Abneigung gegen einen gemeinsamen Feind scheint aktuell größer zu sein.
Es war nur eine kleine Nachricht, die Hannover 96 am vergangenen Montag auf seiner Website veröffentlichte. Doch sie sprach Bände. „Der Vorverkauf für das anstehende Auswärtsderby in Braunschweig wurde nun beendet“, verkündete der niedersächsische Zweitligist. Auf den ersten Blick kein Wunder, sind die Karten für das Duell mit dem Rivalen immer heiß begehrt. Was aber stutzig machte, war die Zahl der abgerufenen Tickets.
Gerade einmal rund 700 wurden verkauft. 1.260 wären möglich gewesen. „Einen freien Verkauf oder eine Tageskasse wird es aus Sicherheitsaspekten nicht geben“, hieß es vonseiten Hannovers. Was bedeutet: Mehr als 500 Karten für den Gästeblock verfallen. Von außen betrachtet eine höchst seltsame Angelegenheit, die sich beim genaueren Hinschauen aber schnell erklären lässt.
Etliche Anhänger von Hannover 96 boykottieren die Partie am Sonntag (ab 13.30 Uhr im Liveticker bei t-online) im Eintracht-Stadion, obwohl sie eigentlich für beide Klubs wie in jeder Saison das Spiel der Spiele darstellt. Doch die aktive Fanszene der Hannoveraner hatte zu dieser Maßnahme aufgerufen – und steht mit dem Boykott nicht allein. Die Braunschweiger Ultras haben angekündigt, während des Derbys auf die Unterstützung ihrer Mannschaft zu verzichten. „Keine organisierte Stimmung, keine Choreo“, hieß es in einem Schreiben der Szene. Und: „Wir rufen alle auf, sich solidarisch mit unserem größten Rivalen zu zeigen.“
Plötzlich verbrüdern sich also die sportlichen Todfeinde. Denn beide haben einen gemeinsamen Gegner gefunden. Und der kommt nicht aus der jeweils anderen Stadt, sondern aus der Politik.
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens zieht in diesen Tagen die einheitliche Wut der beiden rivalisierenden Fanlager auf sich, was mit den 1.260 ursprünglich erwerbbaren Tickets für die 96-Fans zusammenhängt. Denn in den Gästeblock in Braunschweig passen deutlich mehr Auswärtsfahrer. Um genau zu sein, sind es 2.100. Dass 40 Prozent weniger Karten an die Fans aus der niedersächsischen Landeshauptstadt gehen, hängt mit der Politikerin zusammen.
Wäre alles nach Daniela Behrens gegangen, hätten nämlich wohl gar keine 96-Fans am Sonntag das Stadion in Braunschweig betreten dürfen. Das machte die SPD-Frau bereits im Juli 2024 deutlich. „Mein Ansatz ist, für das nächste Niedersachsenderby in Braunschweig den Gästefan-Ausschluss anzuordnen“, sagte Behrens damals über das nächste anstehende Derby.
Auch im April hatte die 56-Jährige schon damit gedroht. Die drastische Forderung hing damals mit den Vorfällen beim Derby in Braunschweig wenige Tage zuvor sowie dem Aufeinandertreffen beider Klubs in der Hinrunde in Hannover zusammen. Bei beiden Partien war es, wie auch schon in der Vergangenheit, zum Einsatz von Pyrotechnik und teilweise zu Ausschreitungen gekommen, bei denen auch Personen verletzt wurden. „Ich akzeptiere das nicht und möchte das auch nicht länger hinnehmen“, so Behrens.
Bei den Vereinen bemühte man sich derweil darum, den Ausschluss der Fans zu verhindern. Monatelang standen die niedersächsischen Klubs im Austausch mit der Politik. „Wir nehmen das sehr ernst. Wir glauben aber fest daran, dass es Maßnahmen gibt, die wir noch vor einem Ausschluss der Gästefans umsetzen könnten“, sagte BTSV-Präsidentin Nicole Kumpis.
Kritik an Behrens‘ Forderung gab es parallel von vielen Seiten – sogar aus der Gewerkschaft der Polizei. Der GdP-Landesvorsitzende Kevin Komolka verurteilte zwar das Abbrennen von Pyrotechnik und die Ausschreitungen, betonte Mitte des Jahres aber, eine Kollektivstrafe, die der pauschale Ausschluss der Fans nun einmal sei, sorge „verständlicherweise für Unmut, da viele Unbeteiligte betroffen sind.“