Ricarda Lang erklärte bei „Caren Miosga“, warum sie heute freier reden kann als vor ihrem Rücktritt als Grünen-Chefin und wovor sie damals besonders Angst hatte.
Machtkämpfe, mangelnder Zusammenhalt und miserable Kommunikation: Kurz vor dem Vertrauensvotum von Bundeskanzler Olaf Scholz widmete sich Talkshow-Gastgeberin Caren Miosga noch einmal den Gründen für das Scheitern der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP. „Was sind die Lehren aus dem Ampel-Aus?“, fragte die Moderatorin die Gäste in ihrer ARD-Sendung am Sonntagabend und bekam zu hören, dass es für zukünftige Regierungen schwierig werden könnte, es substanziell besser zu machen.
- Ricarda Lang (Bündnis 90 / Die Grünen), Bundestagsabgeordnete
- Peer Steinbrück (SPD), Ex-Bundesfinanzminister
- Robin Alexander, stellvertretender „Welt“-Chefredakteur
„Wir haben in den letzten Jahren eine Regierung erlebt, die vieles – gerade in der Krisenbewältigung – hinbekommen hat, aber die auch viel an politischer Kultur kaputt gemacht hat“, gab Ricarda Lang zu. Die Grünen-Politikerin, die bis vor Kurzem noch Vorsitzende ihrer Partei war, gehörte zu den prägenden Gesichtern der Ampelkoalition. Dass mit ihrem Amt auch eine rhetorische Last von ihr gefallen sei, machte Lang wiederholt durch ihre Äußerungen deutlich.
Den Grund, warum Politiker die Öffentlichkeit lieber in Watte packten, als Unangenehmes zu thematisieren, benannte Lang ebenfalls klar. „Aus Angst“, erklärte sie unumwunden. Man sitze beispielsweise in Talkshows und habe aus Sorge vor der Skandalisierung eigener Aussagen immer schon die Schere im Kopf. Bei den Menschen entstehe dadurch das ungute Gefühl, dass die Politik ihnen etwas verheimliche, was wiederum zu einem großen Vertrauensverlust führe, so die ehemalige Grünen-Chefin, die bei der kommenden Bundestagswahl erneut für einen Sitz im Parlament kandidiert.
Würden sich die Wähler aber „verarscht“ fühlen von den Regierenden, dann erhielten die Parteien an den Rändern noch mehr Zulauf, so Lang. Ihre Schlussfolgerung lautete: „Wir müssen anfangen, die Menschen wieder mehr wie Erwachsene zu behandeln“.
Auch der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat sprach davon, dass die Mitglieder seiner Zunft Angst hätten, die Probleme des Landes klar anzusprechen. Er merke das im Kontext des Ukrainekrieges, insbesondere beim Thema der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Viele Politiker würden so tun, als ob es immer noch die Wahl zwischen Krieg und Frieden gäbe, so Steinbrück. Dabei befinde sich Deutschland längst in einem hybriden Krieg mit Russland. „Wir werden angegriffen“, sagte der 77-Jährige. Doch das den Menschen zu sagen, dafür fehle der Mut. „Und diese klare Ansage fehlt“, so Steinbrück.
Zumutungen müssten klar adressiert werden, forderte der als Klartext-Redner Sozialdemokrat. „Ich glaube, dass viele Bürgerinnen und Bürger die sogar in Kauf nehmen – unter einer Bedingung: dass diese Zumutungen gerecht verteilt sind“, erklärte er. Trotzdem war Steinbrück sich sicher, für das Ansprechen einiger der „sehr unangenehmen Wahrheiten“, mit denen Deutschland sich auseinandersetzen müsse, einen Shitstorm in den sozialen Medien zu ernten.
„Wir werden in Deutschland gesamtwirtschaftlich mehr arbeiten müssen“, führte Steinbrück als Beispiel für eine solche Aussage und Realität an. Die Zahl der Arbeitsstunden pro Jahr sei hierzulande zu niedrig, die der Ausfallzeiten aus gesundheitlichen Gründen zu hoch. Auch bei der Rente dürfe nicht alles beim Alten bleiben. „Wir können den demografischen Wandel mathematisch nicht überlisten, indem wir politisch zurückschrecken und so tun, als ob wir nichts ändern müssten“, resümierte der SPD-Kanzlerkandidat des Jahres 2013.
Es fehle für einen Wandel in der Kommunikation mit der Wählerschaft an politischer Führung, konstatierte „Welt“-Journalist Robin Alexander und nannte stellvertretend die aktuellen Wahlprogramme. „In der Union gibt es gar keine Gegenfinanzierung, und in der SPD gibt es eine Gegenfinanzierung, wo jeder auf dem Bierdeckel ausrechnen kann, dass es nicht hinkommt.“ Man habe sich also für das Gegenteil einer klaren Auseinandersetzung mit den Problemen entschieden. „Die wissen, was zu machen ist – das weiß ja jeder –, aber sie trauen sich nicht“, lautete Alexanders Fazit im Hinblick auf die mangelnde Nachhaltigkeit des deutschen Rentensystems.