Als Sensation präsentierte „Stern“-Reporter Gerd Heidemann 1983 die „Hitler-Tagebücher“, doch es waren Fälschungen. Nun ist Heidemann verstorben. Historiker Thomas Weber ordnet sein Leben ein.
Es war einer der größten Presseskandale der Bundesrepublik: 1983 wollte „Stern“-Reporter Gerd Heidemann die Tagebücher Adolf Hitlers entdeckt haben. Statt einer Sensation folgte ein Desaster, denn die Bücher waren Fälschungen. Gerd Heidemann und das Magazin „Stern“ waren blamiert. Heidemann wurde später verurteilt, seine Karriere als Journalist war zu Ende. Nun ist Heidemann im Alter von 93 Jahren verstorben.
Neben dem Skandal um die „Hitler-Tagebücher“ wurde dem Journalisten auch allzu große Nähe zum Nationalsozialismus vorgeworfen. Historiker Thomas Weber kannte Heidemann seit Jahren. Im Interview erklärt der Forscher, warum sich Heidemann missverstanden gefühlt – und in welcher Hinsicht der Journalist durchaus Verdienste um die historische Forschung erworben habe.
t-online: Professor Weber, Gerd Heidemann ist am Montag verstorben, wie Sie berichten. 1983 wurde der frühere Star-Reporter des „Stern“ mit der Veröffentlichung der angeblichen Hitler-Tagebücher erst berühmt und dann, als sie sich als Fälschung erwiesen, berüchtigt. Wie stand Heidemann zum Nationalsozialismus, zu dem ihm eine hohe Affinität nachgesagt worden ist?
Thomas Weber: Gerd Heidemann hat sich immer sehr geärgert, wenn ihm eine Nähe zum Nationalsozialismus unterstellt wurde. Er war darüber verwundert und auch irritiert, die Menschen hätten nicht verstanden, dass er sich als Journalist auf seinen Recherchereisen – bei denen er etwa alte Nazis in Südamerika suchte und besuchte – doch auf eine gewisse Art zu diesen Leuten verhalten musste, um mit ihnen eine Beziehung aufzubauen. Er habe doch die Opfer des Nationalsozialismus bei der Suche nach den größten Kriegs- und Menschheitsverbrechern unterstützt. Darüber hat er vor Kurzem mit mir und dem niederländischen Dokumentarfilmer Foeke de Koe das letzte Interview seines Lebens geführt.
Heidemann war mehrere Jahre mit Edda Göring, der Tochter des Nazi-Verbrechers Hermann Göring, liiert. 1973 kaufte er die Yacht „Carin II“, die einst Göring gehört hatte. Das lässt doch durchaus eine gewisse Faszination Heidemanns für den Nationalsozialismus erkennen?
Das bedarf tatsächlich der Erklärung. Heidemann selbst hat überhaupt nicht verstanden, wieso der Rest der Welt ihn so wahrnahm. Ebenso haben die Zeitgenossen den Versuch unterlassen, Heidemann aus seiner Persönlichkeit, also aus sich selbst heraus, zu verstehen. Klar, es mutet seltsam an, wenn jemand eine Nähe zum Nationalsozialismus verneint, aber Görings Yacht kauft, mit Görings Tochter liiert ist und sich mit einem Karl Wolff anfreundet.
Thomas Weber, Jahrgang 1974, lehrt Geschichte und Internationale Politik an der University of Aberdeen und leitet das dortige Centre for Global Security and Governance. Derzeit ist der Historiker Visiting Fellow der Hoover Institution an der amerikanischen Stanford University. Weber ist Autor mehrerer Bücher, 2016 veröffentlichte er „Wie Adolf Hitler zum Nazi wurde. Vom unpolitischen Soldaten zum Autor von ‚Mein Kampf‘„. 2022 gab Weber „Als die Demokratie starb. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten – Geschichte und Gegenwart“ heraus.
Karl Wolff war einer der engsten Mitarbeiter des SS-Chefs Heinrich Himmler. Wie kann man mit einem solchen Mann Freundschaft schließen, ohne seine eigene Glaubwürdigkeit zu riskieren?
Heidemann war ein Grenzgänger, der das, was die Nationalsozialisten angerichtet hatten, in keiner Weise guthieß. Selbstverständlich hat Heidemann Dinge getan, die man in meinem katholisch-calvinistischen Elternhaus mit Sicherheit nicht gemacht hätte und die es ziemlich einfach machen, ihn in einem schlechten Licht zu sehen. Aber Heidemann war ein Grenzgänger, der als Journalist immer danach strebte, etwas Neues herauszufinden. In Situationen, in denen er in Richtung Nationalsozialismus gerückt wurde, sagte er, dass diese Leute eben nicht verstanden hätten, dass er Journalist sei. In den Fünfzigerjahren hat Heidemann versucht, NS-Richter aufzuspüren, die schreckliche Unrechtsurteile gefällt hatten und bis dahin dafür nicht belangt worden waren. Es gibt also viele Facetten Heidemann, die berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört auch, dass sich Edda Göring von der Politik ihres Vaters distanziert hat und Heidemanns spätere Lebenspartnerin, mit der er 40 Jahre zusammen war, sich in der Lokalpolitik für die Demokratie eingesetzt hat.
Auf der einen Seite die Suche nach Tätern, auf der anderen Freundschaft mit ebensolchen Verbrechern: War Heidemann wirklich überrascht, dass die Umwelt ihn und seine Arbeit auch kritisch sah?
Heidemann war zum Teil aus dieser Welt gefallen. Bis in seine letzten Lebensstunden hat es ihn verfolgt, dass er sich von den Menschen falsch wahrgenommen fühlte. Das hat Heidemann niemals verstanden. Er war vom Nationalsozialismus fasziniert, ja, er wollte Neues darüber herausfinden. Das hat er als Journalist nicht allein durch die Suche nach Archivalien getan, sondern indem er mit alten Nationalsozialisten eine Vertrauensbasis geschaffen hat, die bisweilen in Freundschaften überging. Da durfte er sich letzten Endes nicht wundern, dass ihm NS-Nähe unterstellt wurde. Das war der Preis, den er bezahlen musste.