Der Kontrast wirkt surreal – wie in einer Hollywood-Satire. Während halb Los Angeles in Schutt und Asche liegt, hält die Filmbranche an ihren Gala-Plänen fest.
Es ist der nächste Aufschub innerhalb weniger Tage: Die Oscar-Akademie wird die Nominierungen für die Filmpreise deutlich später bekannt geben als geplant. Doch reicht das? Ursprünglich sollten die Anwärter für Hollywoods höchsten Preis am 17. Januar verkündet werden, dann folgte die Vertagung auf den 19. Januar, jetzt ist plötzlich vom 23. Januar die Rede.
Derweil lodern die Flammen in Los Angeles weiter. Zwei Stadtteile von Los Angeles, Pacific Palisades und Altadena, sind fast vollständig verwüstet, Zehntausende Menschen wurden evakuiert, Tausende haben ihre Häuser verloren und mindestens 24 Personen sind ums Leben gekommen. Wann das Inferno ein Ende nimmt, kann derzeit niemand seriös beantworten. Für diese Woche werden orkanartige Winde erwartet – und drohen, den Albtraum Hollywoods zu verlängern.
Die Akademie verschafft sich Zeit, der veränderte Plan soll den Filmschaffenden Aufschub gewähren, um über die Kandidaten abzustimmen. Auch, weil es ganz einfache praktische Probleme gibt: Haushalten fehlt der Strom, zur Abstimmung berechtigte Akademie-Mitglieder haben keinen Computer mehr. Es sind Nachrichten inmitten einer Katastrophe, die wie ein Nebenschauplatz, ja, eine Nebensächlichkeit wirken.
Geschäftsführer Bill Kramer und Akademie-Chefin Janet Yang drückten in einer Mitteilung den von den Bränden Betroffenen zwar ihr Mitgefühl aus. Doch eine Kuriosität bleibt: Die Akademie will an dem geplanten Termin für die 97. Verleihung der Oscars festhalten. Die Gala soll am 2. März in Hollywood über die Bühne gehen. Gleiches gilt für die Grammys: Auch die begehrtesten Musikpreise der Welt sollen nach Mitteilung der Recording Academy planmäßig am 2. Februar in Los Angeles vergeben werden.
Angesichts dieser Entscheidungen wächst die Kritik an der Branche. Beobachter, aber auch Stars aus Film-, Fernsehen und der Popkultur, bekunden ihre Skepsis, ob es denn eine so gute Idee sei, angesichts der verheerendsten Brände in der Geschichte Kaliforniens solche Veranstaltungen durchzuführen. Einige kleinere Events wurden bereits abgesagt: das traditionelle Mittagessen aller Preisanwärter im Vorfeld der Oscars etwa oder die Verleihung der Filmkritikerpreise Critics Choice Awards.
Da wäre etwa Schauspielerin Jean Smart. Sie schreibt auf Instagram: „Ich hoffe, dass alle Sender, die die kommenden Preisverleihungen übertragen, ernsthaft in Erwägung ziehen, sie NICHT zu übertragen und die Einnahmen, die sie gesammelt hätten, den Opfern der Brände und den Feuerwehrleuten zu spenden.“ Und Patricia Arquette, einst für „Boyhood“ mit dem Oscar prämiert, forderte eine Absage der 97. Academy Awards.
Während Privatpersonen wie Paris Hilton, Jamie Lee Curtis oder Beyoncé Geld spenden und Benefizkonzerte angekündigt werden, bleibt die Lage in Los Angeles diffus. Laut dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom könnte es sechs bis neun Monate dauern, die Trümmer nach den Bränden in Los Angeles wegzuräumen. Tausende Helfer werden dafür benötigt. Wie soll in dieser Zeit ein gigantisches Fest organisiert, wie sollen Stars aus aller Welt in der Region untergebracht werden?
Die US-Zeitung „Washington Post“ erinnert in einem Bericht an die Geschichte der Oscars. So sei die Verleihung im Jahr 1938 wegen einer verheerenden Überschwemmung in Los Angeles, die 100 Todesopfer forderte, um eine Woche verschoben worden. Nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. im Jahr 1968 wurde die Verleihung um zwei Tage und nach dem Attentat auf Präsident Ronald Reagan um einen Tag verschoben, ebenso wie 2021 während der Pandemie um zwei Monate.
Ein Ausfall der Oscars hätte also historische Ausmaße, eine Verschiebung der Gala vom 2. März auf einen späteren Zeitpunkt wäre hingegen nicht unrealistisch. Zumal dies Zeit verschaffen würde, all die logistischen wie infrastrukturellen Themen rund um das Dolby Theatre, wo die Verleihung stattfindet, und die Stadt Los Angeles zu organisieren. Schließlich sind viele Mitarbeiter, die eher hinter den Kulissen für Technik, Catering und Bühnenaufbau zuständig sind, ebenfalls vom Feuer betroffen. Hunderte seien obdachlos und bangen um ihre Existenz, heißt es von Medien wie dem „Hollywood Reporter“.