Wir stehen zu den Klimazielen. Aber Klimaziele durch Deindustrialisierung erreichen zu wollen, kann niemand ernsthaft wollen. Wir werden dafür sorgen, dass unser Land ein Industrieland bleibt. Wir haben uns mit der Verbindung von Ökonomie und Ökologie in den letzten drei Jahren intensiv beschäftigt und hier in Berlin einen Technologiekongress ausgerichtet, der gezeigt hat: Es gibt genügend technologische Möglichkeiten, um Klimaschutz mit Wirtschaftswachstum zu verbinden.
Was bedeutet das konkret?
Zum Beispiel ein Gesetz, das CCS erlaubt.
Also Carbon Capture and Storage, die Abscheidung und Speicherung von klimaschädlichem CO2.
Warum ist es in Deutschland verboten, CO2 aus Produktionsprozessen abzuscheiden, die mit Verbrennungsverfahren arbeiten? In Norwegen ist es erlaubt, in Italien und vielen anderen Ländern auch. Bundeswirtschaftsminister Habeck kam mit strahlenden Augen aus Norwegen zurück und meinte: „Das ist eine ganz wunderbare Technologie!“ Er hat einen Gesetzgebungsvorschlag gemacht – und ist an seiner eigenen Fraktion gescheitert. So geht nichts voran.
Aber das reicht natürlich nicht. Der CO2-Ausstoß steigt ja weiter.
Einspruch: Der CO2 Ausstoß in Deutschland sinkt. Wir haben unsere Wirtschaftsleistung bezogen auf das Jahr 1990 verdoppelt und den CO2 Ausstoß bis zum Jahr 2020 bereits um 40 Prozent fast halbiert. Richtig ist natürlich, dass die anspruchsvollen Jahre jetzt vor uns liegen. Aber der Weg, den die Koalition geht, nämlich, die Industrieproduktion in Deutschland immer schwerer zu machen und CO2-Reduktion durch Rezession zu erreichen, ist nicht der Weg, den wir gehen werden.
Wir brauchen eine technologieoffene Entwicklung. Wenn Verbrennerautos wirklich zum ersten 1. Januar 2035 verboten werden, dann haben wir am 2. Januar 2035 immer noch 50 Millionen Verbrenner auf den deutschen Straßen, immer noch 250 Millionen Verbrenner in Europa und immer noch 1,2 Milliarden Verbrenner auf der Welt.
Das ist doch kein Argument, Verbrennerautos trotzdem weiter zu produzieren und immer mehr werden zu lassen.
Nein, aber ein Argument dafür, diese Technologie so weiterzuentwickeln, dass alle Autos auch CO2-neutral fahren können.
Es steht nun mal fest, dass ein Elektromotor einem Verbrenner in der Effizienz bei weitem überlegen ist. Der Verbrenner ist eine rollende Heizung. Das Rollen ist beinahe das Nebenprodukt.
Ob und falls ja, wann die Zukunft vollelektrisch sein wird, das weiß heute niemand von uns. Deswegen gehen einige Automobilunternehmen auf der Welt und richtigerweise auch in Deutschland auf alle verfügbaren Technologien und entwickeln sie weiter. Wir brauchen alle Optionen und zugleich definieren wir das Ziel, dass wir Co2-Neutralität mit Technologieoffenheit verbunden sehen wollen.
Auch an anderer Stelle braucht es dringend Entscheidungen: Bei der Frage, ob die Ukraine drei weitere Milliarden Euro für Waffenkäufe bekommen soll, geht es nicht voran. Was wollen und können Sie tun, um das aufzulösen?
Die Rest-Bundesregierung muss sich zunächst einmal einig werden. Pistorius will es, Baerbock will es. Der Bundeskanzler will es offensichtlich nicht, also gibt es wieder Streit. Jetzt höre ich, dass da angeblich die Schuldenbremse gelockert werden soll für drei Milliarden Euro! Dabei ist das überhaupt nicht nötig. Die Bundesregierung kann ohne weiteres nach der Bundeshaushaltsordnung eine außerplanmäßige Ausgabe beschließen, kann sie vollziehen und dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages davon Kenntnis geben. Das ist der Weg.
Ich habe Frau Baerbock und Herrn Pistorius gesagt: Machen Sie einen Vorschlag, und wir werden hier nicht widersprechen. Aber deswegen die Schuldenbremse zu lockern, aufzuheben, das Grundgesetz zu ändern für drei Milliarden Euro? Auf gar keinen Fall! Das ist der durchsichtige Versuch des Bundeskanzlers, uns eine Falle zu stellen. Da tappen wir nicht rein. Ich finde es verantwortungslos, dass hier offensichtlich mit den Menschen in der Ukraine ein innenpolitisches Spiel getrieben wird, und zwar sowohl innerhalb der Rest-Koalition als auch der Union gegenüber. Aber das ist ein Muster, das wir bei den Sozialdemokraten immer wieder gesehen haben. In dem Augenblick, in dem die Alternativen lauten: staatspolitische Verantwortung oder innenpolitischer Geländegewinn entscheiden sich diese SPD und dieser Bundeskanzler in der Regel für die zweite.
Hatten Sie zu Bundeskanzler Olaf Scholz denn jemals ein echtes Vertrauensverhältnis?
Am Anfang der Wahlperiode, ja. Aber mit abnehmendem Grenznutzen.
Weil ich von ihm nie in wirklicher Offenheit die Dinge beschrieben bekommen habe. Bei Scholz lief immer ein zweiter Film im Kopf ab. Das kann man so machen, aber es ist keine Voraussetzung für Vertrauen.
Sehen Sie darin einen Politikstil oder einen Charakterzug?
Ich kenne ihn dafür zu wenig. Aber so, wie ich ihn kennen gelernt habe, scheint das ein Verhaltensmuster zu sein.
Am kommenden Montag tritt Donald Trump sein Amt an. Wie würden Sie als Kanzler mit ihm sprechen?
Ich würde zunächst einmal darauf verzichten, aus Deutschland heraus mehr oder weniger kluge Ratschläge zu erteilen. Und ich würde so schnell wie möglich den Dialog mit ihm suchen – aber erst, nachdem ich mit den europäischen Staats- und Regierungschefs ein möglichst hohes Maß an Übereinstimmung gesucht und gefunden habe, wie wir miteinander im transatlantischen Verhältnis in Zukunft auftreten.
Donald Trump hat angekündigt, er wolle den Krieg in der Ukraine schnell beenden, und plant ein Treffen mit Putin. Würden Sie zu so einem Treffen mitgehen?
Der deutsche Oppositionsführer wird das natürlich nicht tun. Aber wenn der heutige Oppositionsführer morgen als Bundeskanzler in diese Lage versetzt würde, selbstverständlich ja! Aber unter der Voraussetzung, dass es eine gemeinsame Strategie der Amerikaner und Europäer einschließlich der Deutschen gibt, abgestimmt mit der Ukraine. Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Krieg beendet wird, aber das kann man nicht mit Schwäche erreichen und nicht mit Resignation oder Kapitulation. Sondern indem man Putin die Aussichtslosigkeit der Fortsetzung dieses Krieges vor Augen führt.
Würden Sie die Bundeswehr an einer Friedenstruppe beteiligen?
Die Frage stellt sich heute überhaupt nicht, denn Putin ist derzeit erkennbar nicht zu Verhandlungen bereit. Klar ist: Deutschland darf nicht Kriegspartei werden.
Augenhöhe mit den USA setzt ein stärker geeintes Europa voraus. Wie wollen Sie das erreichen?
Deutschland muss ein klares Zeichen setzen, und das werden wir unter meiner Führung tun. Wir werden uns wieder stärker in Europa engagieren.
Wo sehen Sie in der EU gerade den größten Bedarf einzugreifen, wo brennt der Baum?
Wir müssen das Brüsseler Bürokratiemonster bändigen. Das ist die drängendste Aufgabe. Schauen sich an, was die Unternehmen mittlerweile für einen Aufwand betreiben müssen! Ich höre, dass die Lufthansa 200 Mitarbeiter eingestellt hat, um die europäischen Berichtspflichten zu erfüllen. Das ist doch der helle Wahnsinn! Und das alles für die Datenfriedhöfe, die niemand mehr anschaut.
Zum Abschluss ein, zwei persönliche Fragen. Ihnen wird vorgehalten, keine Regierungserfahrung zu haben und vergleichsweise wenig Erfahrung in politischer Führung. Was entgegnen Sie?
Ach wissen Sie, mittlerweile bin ich 23 Jahre in der Politik, ziemlich genau ein Drittel meines Lebens. Zwischendurch bin ich zwölf Jahre in der Wirtschaft gewesen, das war ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Ich bringe politische Führungserfahrung mit aus großen, komplexen Organisationen, dazu gehört die CDU genauso wie die Bundestagsfraktion von CDU/CSU. Ich glaube, ich bringe so viel Lebens- und Führungserfahrung aus der Wirtschaft mit wie kein zweiter derer, die im Wettbewerb mit mir stehen. Über alles andere entscheiden die Wählerinnen und Wähler in Deutschland.
Was sind in Ihren Augen die drei wichtigsten Qualitäten, die ein Kanzler haben muss?
Die Bereitschaft, eine Mannschaft zu führen und Streit zu vermeiden, bevor er offen ausbricht. Ein klares Ziel zu haben und eine Mannschaft aufzubauen, die sich diesem Ziel verschreibt. Das Ganze unter kollegialer Führung. Aber Führung von vorne.
In den vergangenen Wochen hatten wir den Eindruck, dass Sie an manchen Stellen keine ganz gerade Linie bei jedem Thema gezogen haben. Einmal konnten sie sich Herrn Habeck als Minister vorstellen, dann wieder nicht. Einmal konnten Sie sich Herrn Lindner als Minister vorstellen, aber dann war es doch wieder ein bisschen schwierig nach dessen Äußerungen zu Milei und Musk.
Ich bitte Sie! Ich habe darüber gesprochen, dass sich die Wirtschaftspolitik ändern muss und mit uns auch ändern wird. Wer diesen Weg mitgeht, kann das gerne tun, die anderen bleiben eben am Wegesrand zurück. Daraus ist interpretiert worden, ich könne mir Herrn Habeck als Bundeswirtschaftsminister vorstellen – was ich nie gesagt habe.
Sie haben gesagt, dass es einen Politikwechsel brauche – „mit Habeck oder ohne – das muss Habeck entscheiden, wenn er noch dabei ist“. Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie impulsiv sind Sie?
Das wird mir ja immer wieder gerne unterstellt.
Könnte sein, dass das der Hintergrund der Frage ist.
Ich bin viel ruhiger, viel gelassener und viel konzentrierter, als mir manch einer unterstellt. Richtig ist: Ich bin ein engagierter politischer Debattenredner. Für mich gehört Emotion zu einer politischen Debatte, sonst wird es langweilig. Aber ich bin in der Vorbereitung von Entscheidungen und auch in der Durchführung von Entscheidungen sehr konzentriert und ziemlich frei von Emotionen.
Was braucht es, um so ein Amt als Kanzler länger als drei, vier Jahre durchzustehen?
Kondition, Überblick und Abstand, auch von kurzfristigen tagespolitischen Fragen. Den Blick immer aufs Ganze gerichtet. Und die Bereitschaft, auch mal ins persönliche Risiko zu gehen.
Ihr Leben würde sich als Kanzler stark verändern. Sie verbringen ja auch gerne Zeit mit Ihrer Familie. Das wäre dann viel seltener möglich.
Das gehört dazu, das weiß ich. Und werde trotzdem versuchen, einen Rest an Privatheit zu retten.
Herr Merz, vielen Dank für das Gespräch.