Ein Jahr ist es her, dass Hamas-Terroristen Israel überfallen haben. Während der Angriffe am 7. Oktober 2023 chattete t-online-Redakteurin Simone Bischof mit dem israelischen Fotografen Ilan Spira. Sein Leben hat sich seitdem massiv verändert.
Der Morgen des 7. Oktober beginnt mit trübem Wetter in Berlin. Wie jeden Tag schaue ich als Erstes auf mein Handy und checke die Nachrichtenlage. Was ich da lese, ist beunruhigend: Palästinensische Hamas-Terroristen sind von Gaza aus in den Süden Israels eingedrungen, es soll Tote geben. Ich muss zur Arbeit in die Redaktion. Als ich dort ankomme, werden die Meldungen immer dramatischer: Die Zahl der Toten steigt, von Entführungen ist die Rede, von Schwerverletzten.
Sofort schreibe ich meinem Freund Ilan Spira über WhatsApp. Ilan ist Fotograf, 49 Jahre alt und lebt in der Nähe von Tel Aviv. Wir haben uns 2011 in einem Café in Tel Aviv kennengelernt. Seitdem sind wir Freunde – in guten wie in schlechten Zeiten. Ein Auszug aus unserem Chat an diesem Morgen:
Simone Bischof: 7.07 Uhr: Boker tov*, das sind schlimme Nachrichten heute Morgen. Wie geht es dir? (*Boker tov: „Guten Morgen“ auf Hebräisch)
Ilan Spira: 7.08 Uhr: Es ist hart, auf diese Weise geweckt zu werden.
7.09 Uhr: Wann ging es los?
7.43 Uhr: Vor etwa zwei Stunden. Wir sind im Krieg.
7.44 Uhr: Ich verfolge es die ganze Zeit in den Nachrichten.
7.44 Uhr: Es scheint so, als ob eine Menge schlimmer Dinge passiert sind, vor allem Entführungen von Menschen.
7.45 Uhr: Sind du und deine Familie sicher?
7.47 Uhr: Ich arbeite schon und berichte über die Lage in Israel.
7.48 Uhr: Sie ist katastrophal.
7.48 Uhr: Ich möchte das gar nicht hören.
Ilan schickt mir mehrere Videos von den Überfällen der Hamas-Terroristen am Morgen des 7. Oktober, die das israelische Fernsehen zeigt. Was darin zu sehen ist, ist kaum auszuhalten: Junge Menschen, die panisch rennen oder sogar erschossen werden.
7.52 Uhr: Wir stehen vor einer schwierigen und schlimmen Zeit.
10.57 Uhr: Ich werde hier noch verrückt. Die Neuigkeiten sind abscheulich.
10.58 Uhr: Es wird immer schlimmer werden.
10.59 Uhr: Sind deine Eltern in Sicherheit? Sind Vicky und die Kinder bei dir?
11 Uhr: Ja. Ich bin gerade bei den Kindern angekommen. Danke für deine Unterstützung.
Ilan hat zwei Söhne, vier und zehn Jahre alt. Beide leben bei ihrer Mutter, Vicky, ebenfalls in der Nähe von Tel Aviv und unweit von ihm. Er sieht die Kinder nahezu täglich und verbringt viel Zeit mit ihnen. Dann nimmt er sie auch oft mit zu seinen Eltern, die ebenfalls nur eine halbe Stunde entfernt von ihm wohnen. Ilans Vater, Dov Spira, stammt aus Polen, ist 91 Jahre alt.
Dov Spira wurde in Krakau geboren. Mit dem Beginn des Krieges floh seine Familie über die Ukraine und das Karpatenland bis nach Tschechien, wo sie sich bis Kriegsende als Christen ausgaben und teilweise versteckt lebten. 1947 wanderten sie nach in das britische Mandatsgebiet Palästinas aus, aus dem am 14. Mai 1948 der neue Staat Israel hervorging.
In den nächsten Stunden haben Ilan und ich keinen Kontakt. Ilan ist bei seiner Familie, ich arbeite. Erst am Abend schreiben wir uns wieder.
20.04 Uhr: Wie ist die Lage?
20.07 Uhr: Fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt ist eine Rakete eingeschlagen. Ich bin okay. Ich fühle mich wegen der dummen Leute in unserer Regierung schlecht.
20.10 Uhr: Ich bin schockiert.
20.12 Uhr: Es gibt inzwischen etwa 400 bis 500 Tote.
20.16 Uhr: In den deutschen Nachrichten ist von 200 Toten die Rede.
20.16 Uhr: Es sind mehr. Viele Menschen werden vermisst. Es gibt etliche Schwerverletzte. Man findet alles auf Telegram. Es sind schlimme Bilder. Ich kann mir das nicht ansehen.
20.31 Uhr: Wir hatten gerade wieder einen Bombenalarm.
Ich schicke Ilan ein Foto aus den deutschen Nachrichten das zeigt, wie Mitglieder vom Netzwerk Samidoun den Terror-Angriff der Hamas auf Israel in Berlin feiern und in der Neuköllner Sonnenallee freudig Baklava verteilen. Ilan schreibt: