Die deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Wie schafft es Deutschland da heraus?
Die Zahlen zur deutschen Wirtschaft sehen düster aus. Wirtschaftsforscher prognostizieren für das kommende Jahr nur ein geringes Wachstum. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erwartet etwa, dass die Konjunktur um 0,1 Prozent wächst. Auch das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) geht von einem solchen Mini-Plus aus.
Schon fast optimistisch gibt sich die Industriestaatengemeinschaft OECD, die ein Plus von 0,7 Prozent erwartet. Damit ist Deutschland im Vergleich mit anderen OECD-Staaten aber immer noch das Schlusslicht. Timo Wollmershäuser, Leiter der Konjunkturforschung am Münchner Ifo-Institut, stellt im Gespräch mit t-online fest: „Wir kommen seit fünf Jahren nicht von der Stelle.“
Doch woher rührt die schlechte Wirtschaftslage? Und: Was braucht es nun? Während die Diagnose recht schnell gestellt ist, streiten sich Experten und Politiker über die Ursachen – und insbesondere die Maßnahmen. Doch von vorn.
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Experte Wollmershäuser konstatiert, dass sich die Welt nach der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise erholt habe. „Deutschland aber profitiert von der Erholung nicht“, sagte er. Damit meint der Ökonom die deutsche Industrie, deren Exporte lahmen.
Stattdessen gewinne China immer größere Marktanteile, auch in Feldern, in denen die Deutschen eigentlich Vorreiter waren: Automobilindustrie und Maschinenbau. Laut Wollmershäuser steckt die Wirtschaft aber neben der Konjunkturkrise zusätzlich in einer Strukturkrise, die erst jetzt vollends sichtbar wird. Dazu gleich mehr.
Timo Wollmershäuser (geboren 1972) ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler und seit 2014 Leiter der Konjunkturforschung und -prognosen am Ifo-Institut. Außerdem ist er stellvertretender Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen. Seine Schwerpunkte liegen auf Konjunkturanalysen, Prognosen sowie makroökonomischen Fragestellungen, darunter Inflation und Wirtschaftswachstum.
IMK-Forscher: Handelskrieg zwischen China und den USA
Die Wirtschaftsforscher des IMK analysierten ebenfalls die Gründe für das geringe Wirtschaftswachstum. Demnach sei dies nicht auf hohe Lohnkosten oder Sozialausgaben zurückzuführen – sondern vor allem die Folge von veränderten Rahmenbedingungen und des Machtkampfes zwischen den wichtigen Handelspartnern China und USA.
Beide Länder haben laut IMK-Direktor Sebastian Dullien ihre industrie- und handelspolitischen Aktivitäten – etwa durch Subventionen nationaler Unternehmen und Zölle – deutlich verstärkt. Darunter leide die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Zudem wirke der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöste Energiepreisschock noch immer nach, was auch Wollmershäuser konstatiert.
- Wirtschaft in der Krise: Jetzt droht der Wohlstandsverlust
Tatsächlich sparen viele Menschen, statt ausgiebig zu konsumieren. Und das, obwohl sich die Inflation zuletzt abgeschwächt hat. Die zeitweise gestiegenen Preise, Kriege und wirtschaftliche Verunsicherung drücken weiterhin auf die Stimmung und Kauflaune.
„Hier hat Deutschland den Anschluss verpasst“
Wollmershäuser geht aber in der Ursachenforschung über die derzeitige Konjunkturkrise hinaus. Zwei Punkte hält der Ökonom in der aktuellen strukturellen Krise für entscheidend: Zum einen die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft viel zu lange auf Öl und Gas gesetzt hat – beides kam lange Zeit sehr billig aus Russland. „In Sachen Dekarbonisierung hat Deutschland den Anschluss verpasst.“
Zum anderen hält der Experte die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für schlecht. „Unternehmen überlegen sich oft zweimal, ob sie in Deutschland – oder nicht günstiger im Ausland investieren“, sagt der Experte.
Beides Punkte, die in den vergangenen 15 Jahren liegen geblieben seien – also auch unter den Großen Koalitionen. „Der Ampel allein kann man die Schuld sicher nicht geben.“
Deutschland ist zudem im internationalen Vergleich unter den Spitzenreitern, was die Steuerlast für Unternehmensgewinne angeht. Wollmershäuser kritisiert darüber hinaus die „ausufernde Bürokratie“. „Das hält viele Firmen vom Investieren ab“, sagt er.
Dazu kommt die demografische Krise, in die Deutschland rutscht: Auf immer mehr Rentner kommen immer weniger Erwerbspersonen, was die Rentenkasse vor ein Finanzierungsproblem stellt (mehr dazu lesen Sie hier).
Die Industrie sucht derweil dringend nach Fachkräften. „Die Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland sind leider viel zu hoch“, sagt Wollmershäuser. Er verweist etwa auf umfangreiche Sprachtests, die Fachkräfte zunächst absolvieren müssten.