Friedrich Merz gilt als impulsiver Politiker. Nun macht er den Sozialdemokraten klare Ansagen. Ein Kommunikationsexperte ordnet ein.
15 Euro Mindestlohn? Kein Automatismus. Taurus für die Ukraine? Denkbar, wenn die Absprache mit den europäischen Partnern gegeben ist. Kurz nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen und kurz vor dem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag bei der SPD erklärt Friedrich Merz den Sozialdemokraten öffentlich, was in der künftigen Koalition gelten soll – und was nicht.
Damit rüttelt Merz öffentlich an zentralen Wahlkampfversprechen der SPD, die besonders den höheren Mindestlohn als ihren Markenkern begreifen dürfte. Ob der künftige Kanzler damit eine Strategie verfolgt, an welchen Schwächen er arbeiten muss und ob er sich ein Beispiel an Olaf Scholz nehmen sollte, erklärt der Kommunikationsberater Johannes Hillje.
Herr Hillje, ob Mindestlohn oder Taurus – warum stößt Friedrich Merz die SPD nach den Koalitionsverhandlungen und vor dem Mitgliedervotum so vor den Kopf?
Das ist im Sinne der Koalitionsharmonie taktisch unklug. Zwar stellt Merz nicht die Vereinbarung im Koalitionsvertrag infrage, aber er gibt ihr eine bestimmte Deutung, einen Spin.
Im Koalitionsvertrag steht, 15 Euro Mindestlohn seien erreichbar. Die Mindestlohnkommission soll sich an eine EU-Richtlinie halten, die als Referenzpunkt für die Höhe des Mindestlohns 60 Prozent des mittleren Bruttolohns eines Vollzeitbeschäftigten empfiehlt. Daraus ergeben sich die 15 Euro. Die SPD tut ihrerseits so, als seien die 15 Euro Mindestlohn bereits beschlossen – obwohl diese Entscheidung noch aussteht. Aber diese unterschiedlichen Deutungen ausgerechnet jetzt nach außen zu tragen, wie Merz es macht, ist unsensibel.
Eine bewusste Provokation?
Ich glaube eher an Unsensibilität. Denn Merz will derzeit vermutlich vor allem Botschaften an die eigene Klientel senden, bei der er sich Zustimmung zurückerkämpfen muss.
Wie kommt es zu so einer Kommunikation?
Merz ist ein impulsiver Politiker, der sich immer wieder durch spontanes und unreflektiertes Handeln selbst in Schwierigkeiten bringt. Ein Beispiel dafür ist die Vorstellung des Fünf-Punkte-Plans, den er nach dem Anschlag von Aschaffenburg verbreitet hat. Besonders sein Satz, es seien keine Kompromisse möglich, ist ja längst von der Realität und dem Koalitionsvertrag eingeholt worden – obwohl sich die Union da in vielen Punkten durchgesetzt hat.
Zieht sich diese Impulsivität durch seine gesamte Kommunikation?
Nein. Wenn er beispielsweise vom Zettel abliest, ist seine Kommunikation risikoärmer. Er neigt vor allem dann zu zugespitzten, teils absoluten Ansagen, die er später nicht einlösen kann, wenn er auf Fragen von Journalisten reagiert.
Hat Friedrich Merz Berater, die ihm dabei helfen können?
Es gibt selbstverständlich einen Kommunikationsstab und Menschen, die für die Parteiführung und später für das Kanzleramt die Kommunikation übernehmen werden. Es ist aber bekannt, dass Merz sich nicht von besonders vielen Leuten etwas sagen lässt. Gerade bei Stilfragen ist er vielleicht nur begrenzt für Beratung empfänglich.
Halten Sie ihn für beratungsresistent?
Das denke ich nicht, nur möglicherweise nicht ganz einfach zu überzeugen. Einen Aspekt hat er beispielsweise offensichtlich verändert: Er wirkt in längeren Interviews, auch am Sonntagabend bei Miosga, ein Stück freundlicher. Er zeigt öfter mal ein Lächeln. Das sieht für mich als Berater aus, als wurde ihm das geraten oder angecoacht.
Was würden Sie ihm raten?
Seine Impulsivität ist ein Risiko, gerade für einen Bundeskanzler. Da muss er mit sich ehrlich sein. Wir müssen uns ja nur ein Szenario vorstellen: Er sitzt im Oval Office neben Donald Trump und auf ihn prasseln Fragen von Journalisten ein, während Trump ihn provoziert. Vor solchen wichtigen Momenten muss er sich diese Schwächen bewusst machen und sich Gegenstrategien zurechtlegen.
