Bei „Hart aber fair“ wird es mit Heidi Reichinnek laut – und persönlich. Doch stimmen ihre Zahlen zum Bürgergeld? Ein Bäcker warnt: Mit mehr Mindestlohn bleiben Azubis weg.
Die Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek wirft der Union in der Debatte über Bürgergeldbetrug Klientelpolitik für reiche Steuerhinterzieher vor. Jedes Jahr gingen dem Staat 100 Milliarden Euro durch Steuerflucht und Steuerschlupflöcher verloren, aber nur 60 Millionen durch Bürgergeldbetrug, sagte sie am Montagabend bei „Hart aber fair“. „Ich wüsste ja, mit welcher Zahl ich mich intensiv beschäftigen würde, wenn ich eine Koalitionsverhandlung führen würde“, fügte die Linken-Politikerin hinzu.
Steuerhinterziehung müsse verfolgt werden, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilmann Kuban und griff Reichinnek direkt an: „Vom Rechtsstaat versteht ihr garantiert gar nichts.“ So wolle die Linkspartei Hausbesetzungen legalisieren. Reichinnek warf dem ehemaligen Vorsitzenden der Jungen Union vor, nur vom Thema ablenken zu wollen.
Im Grunde sei Kuban Steuerhinterziehung offenbar egal, behauptete die Linken-Fraktionschefin. Dahinter stecke Kalkül: „Das sind die Leute, für die du Politik machst. Das ist mir bewusst.“ Während Louis Klamroth versuchte, die Diskussionsführung wieder an sich zu ziehen, stritten sich die Politiker im Hintergrund weiter. „Deine Kommunikation ist auf jeden Fall ein Witz“, rief Reichinnek Kuban zu. Ob sie auf die Vorwürfe eingehen wolle, fragte Klamroth die Abgeordnete. Die Replik: „Was soll ich darauf eingehen? Er hat sonst nichts zu bieten“.
Persönlich wurde es auch zwischen Reichinnek und der Geschäftsfrau Isabel Grupp-Kofler. Dass die Linken-Politikerin behauptete, es gebe beim Bürgergeld nur wenige Job-Totalverweigerer, stellte die Unternehmerin von der Kunststoff-Firma Plastro Mayer GmbH als realitätsfremd dar. „Dieses Meinungsbild kann nur zustande kommen, wenn man nicht in der Praxis ist“, warf sie Reichinnek vor, was diese unter Verweis auf ihre Arbeit in der Jugendhilfe strikt zurückwies.
Grupp-Kofler schilderte bei „Hart aber fair“, was für Bewerber sie vom Jobcenter geschickt bekomme, die noch nicht einmal zu den Totalverweigerern zählten. Sie bekomme zu hören: „‚Arbeiten will ich hier nicht. Ich brauche nur die Unterschrift, damit ich das Geld wieder bekomme‘ und fertig – weg sind sie.“ Dann gingen diese Bürgergeldbezieher womöglich noch schwarz arbeiten. Das wisse sie doch gar nicht, warf die „Zeit“-Journalistin Anna Mayr ein.
Mayr vermutete: Die SPD habe die Union beim Bürgergeld hinters Licht geführt. Sie bezog sich auf den vollständigen Leistungsentzug, der im Sondierungspapier der möglichen schwarz-roten Koalition festgehalten ist, sollte ein Bürgergeldempfänger wiederholt zumutbare Arbeit ablehnen. Das sei schon heute möglich, aber nur unter sehr speziellen Konditionen, erklärte Mayr – nämlich dann, wenn ein Bezieher von Bürgergeld durch einen Job mehr verdienen könne, als er an staatlichen Leistungen erhalte. „Das ist viel Geld“, sagte Mayr, denn oft gehe es um ungelernte Arbeiter. Hätten die auch noch Familie, wofür es zusätzlich Bezüge gebe, sei am Ende ein hohes Bruttogehalt nötig, um das Bürgergeld komplett streichen zu können.
„Haben Sie die Union ausgetrickst?“, wollte Klamroth vom Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) wissen, auch mit Blick auf das enorme Investitionspaket für die Infrastruktur. So etwas habe er sich von der Wahl nicht vorstellen können, machte Kuban gleich zu Beginn von „Hart aber fair“ keinen Hehl aus seiner Kritik an der Verhandlungstaktik des vermutlich nächsten Bundeskanzlers Friedrich Merz.