Weil sie ihren Kaffee verbesserungswürdig fand, experimentierte sie mit Hammer, Nagel und dem Schulheft ihres Sohnes. Das Ergebnis prägt Deutschland bis heute.
In der ehemaligen Dresdner Marschallstraße 31 hat eine Mutter Anfang des 20. Jahrhunderts die deutsche Kaffeekultur nachhaltig verändert. Dort, in der Küche einer bürgerlichen Vierzimmerwohnung, ärgerte sich die findige 35-Jährige so sehr über Krümel zwischen den Zähnen, dass sie mit durchschlagendem Erfolg zum Hammer griff.
Heute fußt auf ihrer Idee ein internationales Unternehmen mit 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf fünf Kontinenten und einem Jahresumsatz von 2,3 Milliarden Euro.
Während in Italien Erfinder an der Espressomaschine mit Dampfdüsen und Siebträgern tüftelten, genossen die Deutschen ihren Kaffee zur Kaiserzeit meist noch wie die Cowboys. Also: Bohnen mahlen, heißes Wasser drauf. Fertig. Andere benutzten Siebe oder Leinentücher, um den Kaffee notdürftig zu filtern. Nur waren die Durchlässe entweder immer ein bisschen zu klein und verstopften – oder sie waren zu grob und damit unwirksam.
Amalie Auguste Melitta Bentz, 1873 als Tochter eines Buchhändlers geboren, war mit der Situation unzufrieden. Sie hatte sich in einen gleichaltrigen Lehrersohn verliebt, ihn geheiratet und Kinder mit ihm bekommen. Er arbeitete als Abteilungsleiter in einem Kaufhaus, machte sich später mit einem Haushaltswarengeschäft selbstständig – und sie arbeitete an einer Methode, Kaffee besser zu filtern.
Mit Hammer und Nagel durchlöcherte sie dazu eine Konservendose. Als sie auf die Idee kam, in diese zugeschnittenes Löschpapier aus dem Schulheft ihres Sohnes Willy hineinzulegen, kam endlich das erwünschte Ergebnis heraus: schwarzer, heißer, krümelfreier Filterkaffee.
Der begeisterte ihren gesamten Freundinnenkreis so sehr, dass Melitta Bentz beschloss, ihren Apparat zu vermarkten. Wie man auf der Internetseite des Deutschen Patentamtes nachlesen kann, ließ sie ihre Erfindung 1908 als „Kaffeefilter mit auf der Unterseite gewölbtem und mit Vertiefung versehenem Boden sowie mit schräg gerichteten Durchflusslöchern“ patentieren. Dann gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann ein Start-up. Eingetragenes Eigenkapital: 72 Reichspfennige.
Als Firmensitz fungierte ein Zimmer in der Wohnung, eine Metallwerkstatt in Westfalen lieferte die ersten 50 Filterkörper, das erste Filterpapier produzierte eine sächsische Fabrik. Melittas Mann Hugo führte die Erfindung in den Schaufenstern örtlicher Geschäfte vor, die Kinder brachten das Produkt per Bollerwagen zu den Kunden.
Das Geschäft boomte. 1909 fuhr die Firmenchefin zur Leipziger Messe. Ihr Sohn Willy erinnerte sich später, dass seine Mutter dort am Stand von früh bis spät Kaffee für die Inhaber von Haushaltswarengeschäften brühte. Mit Erfolg: 1.200 verkaufte Filtrierapparate bedeuteten wachsende Bekanntheit weit über Sachsen hinaus.
Das Unternehmen „M. Bentz“ expandierte. 1911: Melitta Bentz meldet den Namen „Melitta“ als Warenzeichen an. 1914: Umzug in eine alte Schlosserei in der Wilder-Mann-Straße in Dresden-Trachau, eigene Maschinen werden auf- und 15 Mitarbeiter eingestellt. 1920: Anmietung neuer Räume. 1922: erste Exportgeschäfte in die Schweiz und nach Tschechien. 1924: Die Produktionsfläche wird auf 1.200 Quadratmeter erweitert. 1929: In Dresden wird es eng, die Suche nach neuen Räumen scheitert – also wuppt die Firma innerhalb von vier Tagen den Umzug mit sämtlichen Anlagen und Maschinen in eine ehemalige Schokoladenfabrik im westfälischen Minden, wo zudem massive Steuererleichterungen winken.
Am 2. April 1929 starteten dort 85 Beschäftigte mit der Produktion. Sohn Horst übernahm nun die Leitung – und führte das Unternehmen in das düsterste Kapitel der Firmengeschichte. Im Februar 1933 trat er in die SS ein, außerdem wurde er NSDAP-Mitglied.