
Böller-Horror zu Silvester
„Verletzungen, wie sie an der Front in der Ukraine passieren“
t-online, dpa, Jörg Schurig und Daniel Josling
28.12.2025 – 12:41 UhrLesedauer: 5 Min.
Nach Silvester gleicht das Stadtbild in Sachsen vielerorts einem Trümmerfeld. Auch medizinisch drängen sich militärische Vergleiche auf.
Abgerissene Finger oder Hände, schwere Verbrennungen im Gesicht, zerstörte Augen: Die Verletzungen, die in der Silvesternacht auf den Operationstischen landen, sind nach Einschätzung von Medizinern aus der Kriegschirurgie bekannt. „Es sind Verletzungen, wie sie an der Front in der Ukraine passieren. Wir wissen, wie sie aussehen, da wir hier ukrainische Soldaten interdisziplinär versorgen“, sagt Professor Adrian Dragu, Direktor der Abteilung für Plastische und Handchirurgie am Universitätsklinikum Dresden.
Zum Jahreswechsel 2024 kamen bundesweit fünf Menschen bei Böller-Unfällen ums Leben, zwei davon in Sachsen. Die Ursache waren sogenannte Kugelbomben. „Jede Explosion geht mit Hitze und einer Verbrennung einher“, beschreibt Oberarzt Tim Fülling.
Die Verletzungen entstünden häufig in mehreren Phasen: „Erst kommt die Druckwelle, dann die Hitze.“ Das erfordere oft andere, besonders komplexe chirurgische Verfahren als im regulären Klinikbetrieb.
Rund 30 Patienten mit solchen Verletzungen werden am Dresdner Uniklinikum jedes Jahr in den Tagen um Silvester behandelt. Dabei greifen die Teams auf ein Prinzip aus der Militär- und Katastrophenmedizin zurück: die Triage. Sie dient dazu, Patienten nach Schwere der Verletzungen und Dringlichkeit der Behandlung zu priorisieren, wenn die Notaufnahme überlastet ist. Fülling sagt: „Wir müssen dann entscheiden, welche Verletzung wir in welcher Reihenfolge versorgen.“
Besonders häufig betroffen sind Hände und Gesicht – Körperstellen, die kaum durch Kleidung geschützt sind. Nach Angaben der Ärzte handelt es sich meist um alkoholisierte Männer unter 25 Jahren. Auch Kinder gehören zu den Verletzten, etwa wenn sie Tage nach dem Jahreswechsel mit Blindgängern hantieren. Zudem kommt es immer wieder zu Unfällen mit selbstgebauter Pyrotechnik. In den vergangenen Jahren hätten sich dabei mehrere Patienten die komplette Hand abgesprengt, berichtet Fülling.
Noch immer wird ein Mann behandelt, der 2024 durch einen Böller mehrere Finger verlor – allerdings nicht in der Silvesternacht. Er hatte mit Kugelbomben Wühlmäuse in seinem Garten vertreiben wollen. Inzwischen erhält er Prothesen. Zwar lassen sich abgetrennte Gliedmaßen häufig wieder annähen, doch die Funktion bleibt meist eingeschränkt.










