Noch vor wenigen Monaten versank der DFB im Chaos. Bei der Heim-EM drohte ein Desaster. Jetzt ist plötzlich alles anders – und verantwortlich dafür ist vor allem ein Mann.
Wir schreiben den September 2023: Der Deutsche Fußball-Bund hat gerade einmal mehr zum Aufbruch geblasen. Nach zuletzt schwachen Testspielergebnissen sei nun die Zeit der Experimente vorbei, ließ Bundestrainer Hansi Flick verlauten. Jetzt gehe es in die ernsthafte Vorbereitung auf die EM und alles werde besser, so die Einstellung des DFB.
Doch nichts wurde besser: Stattdessen setzte es für das DFB-Team die nächste krachende Niederlage gegen einen eigentlich unterlegenen Gegner. 1:4 gegen Japan. Aufbruchstimmung? Dahin. Und Bundestrainer Hansi Flick? Nur einen Tag später entlassen. Als erster Trainer der DFB-Geschichte.
Die Krise des deutschen Fußballs – sie schien nicht enden zu wollen. Vorrunden-Aus bei der WM 2018, Achtelfinal-Aus bei der EM 2021, erneutes Vorrunden-Aus bei der WM 2022 und statt Neubeginn und Wiederaufbau Testspiel-Pleiten ohne Ende. Von Vorfreude auf die Heim-EM war keine Spur. Weniger als ein Jahr vor dem Auftaktspiel erschien das für den DFB so wichtige Turnier wie dunkle Gewitterwolken am Horizont.
Nur sieben Monate später surft der DFB auf einer Erfolgswelle, sowohl sportlich als auch personell. Auf einmal ist wieder alles in Butter – und verantwortlich dafür ist hauptsächlich ein Mann: Rudi Völler.
Völlers Verpflichtung wirkte wenig inspirierend
Ein Problem, das den DFB lange plagte: Der Verband agierte oft mutlos, war nicht zu radikalen Änderungen bereit. Der DFB schwimme zu sehr in der eigenen Suppe, hieß der häufig vorgebrachte Vorwurf. Das Engagement von Hansi Flick als Nachfolger von Jogi Löw, dessen Co-Trainer er lange Jahre war, sprach dabei Bände.
Auch die Verpflichtung von Völler als neuem DFB-Direktor wirkte wenig inspirierend. Immerhin war Völler schon im Jahr 2000 als Notnagel zum DFB geholt worden, damals als Teamchef. Nun sollte er erneut den Retter spielen – und das, obwohl er selbst zunächst wohl Zweifel hatte und die Aufgabe aus reinem Pflichtgefühl übernahm.
Kritiker konnten sich dann zunächst auch bestätigt sehen. Denn an seiner ersten Aufgabe, den damaligen Bundestrainer Hansi Flick im Amt zu stützen, scheiterte Völler prompt. Nach mehreren Testspiel-Niederlagen gegen Gegner wie die Ukraine oder eben Japan musste Völler Flick entlassen.
Wie viel Kraft ihn die Bewältigung der DFB-Krise kostete, wurde nach dem Frankreich-Spiel deutlich, bei dem er aufgrund der kurzfristigen Flick-Entlassung auch noch als Interimstrainer eingesprungen war. Zwar gewann das DFB-Team mit 2:1, doch danach stand er von Regen und Schweiß getränkt völlig erschöpft in der Mixed Zone. „Ich sah müde aus, das stimmt. Aber die Tage zwischen den Spielen waren viel anstrengender als das Spiel gegen Frankreich“, sagte der DFB-Sportdirektor später in einem Interview der „Welt am Sonntag“ über die Situation.
Völler brachte den ersehnten Mut zum Risiko
Abschrecken ließ sich Völler von der Erfahrung aber nicht. Im Gegenteil: Er fasste neuen Mut und schubste den Verband in den Jungbrunnen. Berichten zufolge war es Völler, der unbedingt Julian Nagelsmann als neuen Trainer verpflichten wollte und dies auch gegen einige Zweifler durchsetzte. Da war er endlich: der lang ersehnte Mut zum Risiko beim DFB.
Zwar gilt Nagelsmann als einer der talentiertesten Trainer der Welt, jedoch war er zum Zeitpunkt seiner Berufung zum Bundestrainer gerade erst an seiner ersten wirklich großen Aufgabe bei den Bayern gescheitert und galt in den Augen vieler Kommentatoren als möglicherweise zu jung für den DFB-Job. Doch Völler vertraute auf Nagelsmanns Talent.
Nach leichten Anfangsschwierigkeiten nahm sich Nagelsmann selbst ein Beispiel an Völlers Mut und gab die Verjüngungskur unmittelbar an den Kader weiter. Zu den Länderspielen im vergangenen März ließ er angestammte Kräfte wie etwa Leon Goretzka oder auch die BVB-Profis um Julian Brandt, Nico Schlotterbeck und Niklas Süle zu Hause. Stattdessen setzte er das Leistungsprinzip durch und nominierte mit Waldemar Anton, Maximilian Mittelstädt und Deniz Undav vom VfB Stuttgart formstarke Profis, die mit einer Menge Rückenwind aus der Bundesliga zur Nationalmannschaft kamen.
Nagelsmanns Taktik ging auf: Gegen die starken Gegner Frankreich und Niederlande zeigte das neu zusammengestellte DFB-Team überzeugende Leistungen und holte zwei verdiente Siege. Auf einmal war auch die Euphorie bei den Fans da.