Dänemark wird häufig als Vorbild für einen strikten Asylkurs genannt. Doch faktisch ist es gar nicht möglich, sich an dem Nachbarland zu orientieren.
Als sich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und die dänische Premierministerin Mette Frederiksen am Dienstagmorgen in Berlin trafen, schaute sicherlich auch CDU-Chef Friedrich Merz interessiert zu. Denn obwohl dies ein Treffen zweier sozialdemokratischer Regierungschefs war, ist Christdemokrat Merz der dänischen Regierung zumindest in einem Thema deutlich näher als sein Rivale Scholz: bei der Migration.
Beim Gespräch zwischen Scholz und Frederiksen ging es vornehmlich allerdings um andere Themen: Trumps Übernahmeabsichten der dänischen Insel Grönland, Verteidigungsausgaben, die russische Schattenflotte und den Nahostkonflikt – Themen, bei denen die Sozialdemokraten eher auf einer Linie liegen. Ganz anders bei der Migration.
Dort fährt Dänemark bereits seit 2015 einen harten Kurs, zunächst festgelegt von der damaligen rechtsliberalen Regierung. Doch als die Sozialdemokraten die Regierung 2019 übernahmen, verschärften sie den Kurs weiter. Mit dem Verweis, das Sozialsystem schützen zu wollen, nimmt das skandinavische Land kaum Geflüchtete auf, Frederiksen kündigte vor einigen Jahren gar an, die Zahlen „auf Null“ reduzieren zu wollen. Zudem leben Asylbewerber in gefängnisähnlichen Lagern, der Staat darf ihnen sogar Schmuck abnehmen, wenn dieser einen bestimmten Wert übersteigt. Ein sogenanntes „Ghettogesetz“ soll zudem einen gewissen Anteil an „nichtwestlichen Ausländern“ in Stadtvierteln unterbinden.
Merz sieht dieses Vorgehen offenbar als Vorbild. Bereits im vergangenen Sommer sagte er: „Die Dänen sind da sehr konsequent.“ Nun verwies Merz erneut auf die Skandinavier. Dänemark zeige ebenso wie Schweden und die Niederlande, „dass Lösungen möglich sind“. Doch inwiefern ist es überhaupt möglich, sich an dem nördlichen Nachbarn oder anderen Ländern mit schärferen Regeln zu orientieren? Experten sehen kaum Spielraum, insbesondere weil Merz einen entscheidenden Unterschied übersieht.
Neben rechtlichen gebe es auch maßgebliche geografische Unterschiede, verdeutlicht der Rechtsexperte Maximilian Pichl. Dänemark habe nur eine Landgrenze, im Gegensatz zu Deutschland mit neun Nachbarländern. Eine ähnliche Abschottung wäre kaum praktizierbar. Ähnlich sieht es Karl Kopp, Geschäftsführer von Pro Asyl. „Deutschland ist das wichtigste Land in Europa. Es entsteht ein Dominoeffekt an allen anderen Grenzen, wenn hier alle Geflüchteten abgewiesen werden. Das mit einem kleinen Land mit wenigen Geflüchteten nicht vergleichbar.“
Wesentlich wichtiger sind allerdings Feinheiten des EU-Rechts, erklärt Pichl: „Als die EU sich Anfang der 1990er-Jahre entschieden hat, Migrationspolitik zu einer europäischen Gesamtaufgabe zu machen, hat sich Dänemark ein sogenanntes Opt-out vorbehalten.“ Das bedeutet: Dänemark muss nicht bei allen Regeln mitmachen, darf sich bestimmte Rechte vorbehalten. „Dänemark hat einen großen Sonderstatus, Deutschland hat sich den schlicht vertraglich nicht zugesichert.“
Prof. Dr. Dr. Maximilian Pichl hat die Professur für Soziales Recht als Gegenstand der Sozialen Arbeit an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt das Asyl- und Migrationsrecht, er ist Mitglied im Netzwerk Migrationsrecht. Zudem arbeitete er bereits als rechtspolitischer Referent der Menschenrechtsorganisation ProAsyl.
Eine Übernahme des dänischen Prinzips ist rechtlich also gar nicht möglich. Zwar müsse sich Dänemark auch an grundsätzliche Regeln halten, kann aber etwa bei Fragen des Familiennachzugs und der Anerkennung von Geflüchteten andere Maßstäbe anlegen. Das Recht auf Asyl besteht dort aber trotzdem, betont Pichl.
„In Deutschland gilt Gleichheit vor dem Gesetz“
Andere Regelungen wie das Ghettogesetz betreffen zwar nicht das Asylrecht, sind laut Pichl aber trotzdem in Deutschland schwierig umsetzbar. „In Deutschland gilt die Gleichheit vor dem Gesetz. Und ein solches Gesetz hätte starke verfassungsrechtliche Probleme.“ Deswegen kommt er zu dem Schluss: „Dänemark ist aus praktischen und rechtlichen Gründen kein gutes Vorbild.“ Zudem haben etwa die rechtspopulistischen Dänemarkdemokraten zuletzt deutlich an Zustimmung gewonnen – trotz des Rechtskurses der Sozialdemokraten.
Ein deutlicher negativer Aspekt zudem: Wegen des rassistischen Diskurses entscheiden sich immer weniger Menschen proaktiv, nach Dänemark zu kommen, auch qualifizierte Fachkräfte. Auf die ist Deutschland dringend angewiesen. Eine Nachahmung des dänischen Kurses könnte auch dort negative Konsequenzen nach sich ziehen.
Doch nicht nur das Vorbild Dänemark ist ungeeignet, auch die Orientierung an anderen EU-Staaten mit strengeren Asylregeln wie Italien oder Frankreich sei keine Erfolg versprechende Lösung, findet Pichl. Schließlich sei das Europa der offenen Grenzen eine historische Grundsatzentscheidung. „Aus der Erfahrung mit der NS-Zeit hatte sich Europa bewusst entschieden, ein Kontinent zu sein, wohin Menschen in Not fliehen können.“