Während die Absenkung der Inflation, die von westlichen Politikern nun als wichtiger Erfolgsindikator angeführt wird, zunächst erfolgreich war, kommt Milei längst nicht mit all seinen Wahlversprechen so gut voran. Für sein umfangreiches Reformvorhaben, das sogenannte Omnibus-Gesetz, muss er sich den politischen Realitäten stellen.
Seine Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran, Anm. d. Red.) hat nur 39 von 257 Sitzen im Repräsentantenhaus, hinzu kommen sechs von 72 Senatsmandaten. In keiner der argentinischen Provinzen gibt es einen Gouverneur der Milei-Partei. Der Präsident regiert deshalb vornehmlich mit Dekreten bzw. setzt sein Veto gegen Gesetzesvorhaben des Parlaments ein. Er setzt also auf die Macht seines Amts und regiert, wo er kann, am Parlament vorbei.
Meine Verachtung für den Staat ist grenzenlos.
Javier Milei
Dementsprechend zäh gestaltete sich auch die Umsetzung seines „Omnibus-Gesetzes“. Ganze sechs Monate lang debattierten die Abgeordneten und Senatoren den Gesetzestext, nahmen zahlreiche Änderungen vor. Im Ergebnis winkten sie mehr als 230 Gesetzesartikel (zuvor waren es mehr als 600) durch, die vor allem ausländische Investitionen anziehen sollen. Außerdem erlaubten sie Milei anstatt von Dutzenden Privatisierungen lediglich den Verkauf sechs kleinerer Staatsunternehmen, nicht aber die der staatlichen Fluggesellschaft, der Nationalbank oder der Ölgesellschaft.
Mit Blick darauf gab der Präsident kürzlich in einem Interview mit der Zeitung „The Economist“ zu: „Ich habe viel darüber gelernt, wie man Politik macht.“ Am Ende sei er mit seinen Plänen jedoch nicht, will weitere Staatsausgaben kürzen: „Jeden Tag deregulieren wir, und wir haben immer noch 3.200 Strukturreformen vor uns.“ Seine Kürzungspläne begründet er plakativ: „Meine Verachtung für den Staat ist grenzenlos.“
Mileis radikale Kur für den Staat scheint also vor allem beim Haushalt und der Inflation Wirkung zu tragen. Doch zu welchem Preis?
Zunächst einmal hat Mileis „Schocktherapie“ die heimische Wirtschaft gelähmt. Der Internationale Währungsfonds erwartet laut seiner Prognose vom Juli, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 3,5 Prozent sinkt. Für das kommende Jahr prognostiziert der IWF jedoch ein Wachstum von fünf Prozent.
Auch Deutschlands Wirtschaft steht aktuell nicht gut da. Für das laufende Jahr wird Stagnation prophezeit. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht für das kommende Jahr von einem Mini-Wachstum von 0,7 Prozent aus, für 2026 prognostiziert sie ein Plus von 1,2 Prozent.
Dass sich die protestfreudigen Argentinier nach anfänglichen Massendemonstrationen gegen das „Omnibus-Gesetz“ aktuell zurückhalten, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die schwerwiegenderen Folgen von Mileis Politik im Sozialen liegen.
In seinem ersten Jahr als Präsident stieg die Zahl der Armen im Land deutlich an. Lebten zuvor noch rund 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, waren es im ersten Halbjahr 2024 schon knapp 53 Prozent. Rund 18 Prozent der Bevölkerung gelten als extrem arm, können sich nur eine Mahlzeit am Tag leisten und sind auf Tafeln angewiesen.