Hätte der Anschlag von Magdeburg verhindert werden können? Der Terrorexperte Hans-Jakob Schindler ist skeptisch, sieht aber Mängel im Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarktes.
Nach dem Anschlag auf einem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist die Lage am Samstagmorgen weiter unübersichtlich: Die Zahl der Verletzten und Toten ist weiter gestiegen, während zu dem gefassten mutmaßlichen Täter immer neue Details publik werden.
Vor Anschlägen auf große Menschenmengen wurde in Deutschland schon seit Monaten immer wieder gewarnt. Der Terrorexperte Hans-Jakob Schindler sagt dagegen, dass der mutmaßliche Täter von Magdeburg in das gängige Täterprofil nicht passt. Im Gespräch mit t-online erläutert Schindler, warum der Verdächtige nicht in das gängige Raster fällt, wie er die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden bewertet und ob er trotz des Vorfalls selbst weiter einen Weihnachtsmarkt besuchen würde.
t-online: Herr Schindler, der mutmaßliche Täter von Magdeburg soll seit fast 20 Jahren in Deutschland gelebt haben. Er soll als Arzt tätig gewesen sein und er soll sich antimuslimisch im Internet geäußert haben. Was genau sagt uns dieses Profil?
Hans-Jakob Schindler: Das ist extrem ungewöhnlich. Was uns dieses Profil aber auch sagt: Die Radikalisierung hin zur Gewalt ist keine Frage des Alters, des Aufenthaltsstatus oder des sozialen Umfeldes. Jeder kann sich radikalisieren. Aber klar ist auch, dass der mutmaßliche Täter keine Person war, bei der man unbedingt damit rechnen musste, dass er eine solche Tat ausführt.
Ist dieser Mann aus Ihrer Sicht ein Anti-Muslim, möglicherweise ein Rechtsradikaler? Im Internet fanden sich auch Aussagen, in denen er die AfD gelobt hat. Können Sie ein Motiv für die Tat erkennen?
Ein islamistischer Hintergrund ist aus jetziger Sicht jedenfalls extrem unwahrscheinlich. Es sei denn, die Ideologie des Verdächtigen hat sich in den letzten Wochen vollständig gewandelt. Unklar bleibt, was er mit diesem Anschlag überhaupt erreichen wollte. Es gibt Berichte, dass sich der Mann möglicherweise von der deutschen Polizei verfolgt gefühlt hat. Dann greift er Zivilisten in Deutschland an. Vieles passt da noch nicht zusammen. Es wird noch einiges an Aufarbeitung notwendig sein. Aber es gibt möglicherweise auch eine gute Nachricht.
Hans-Jakob Schindler war bis 2018 Chefberater des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu unterschiedlichen Terrorgruppen und der Entwicklung der globalen terroristischen Bedrohung. Heute ist er Senior Director der gemeinnützigen internationalen Organisation Counter Extremism Project (CEP), die das Ziel verfolgt, der Bedrohung durch Extremismus entgegenzuwirken.
Sollte sich die Identität des Täters bestätigen, ist es unwahrscheinlich, dass der Mann Teil eines Netzwerkes ist. Das würde bedeuten, dass wir aktuell nicht von weiteren Anschlägen ausgehen müssen.
Das Profil des Mannes ist also so ungewöhnlich, dass dahinter kaum eine Organisation stecken kann?
Einzeltäter haben in Europa zuletzt völlig anders agiert: Die Täter wurden in der letzten Zeit immer jünger. Dieser Mann soll 50 Jahre alt sein. Er entspricht also nicht dem gängigen Profil.
Kann man den deutschen Sicherheitsbehörden einen Vorwurf machen, dass auf das Gefahrenpotenzial des Mannes nicht reagiert wurde?
Wer sich allein radikalisiert, ist fast unmöglich zu finden. Es gibt etliche Menschen, die im Internet Hass und Gewaltfantasien verbreiten. Aber nur ein ganz geringer Teil davon lässt dem auch Taten folgen. Trotzdem müssen sich die Behörden fragen: Wie kommt ein Auto im Dezember 2024 überhaupt auch nur in die Nähe eines Weihnachtsmarktes? Das hätte definitiv nicht passieren dürfen.
Aufnahmen von der Tat zeigen, wie der Täter mit hoher Geschwindigkeit durch eine Menschenmenge gerast ist. Wurden also Fehler bei dem Sicherheitskonzept gemacht?
Es sieht wirklich danach aus. Poller und Absperrungen auf Weihnachtsmärkten helfen nur dann, wenn sie keine Lücken lassen. Ansonsten kann man sich alle Poller sparen. Es gibt Berichte, dass nicht überall Poller aufgestellt wurden, weil eine Straßenbahn in der Nähe des Marktes fährt. Sollte dem so sein, hätte die Stadt zwei Möglichkeiten gehabt: Entweder hätte die Straßenbahn während des Marktes nicht fahren dürfen oder der Markt hätte an einen Platz verlegt werden müssen, der vollständig abgesperrt werden kann.
Gibt es aus Ihrer Sicht zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, die einen Weihnachtsmarkt sicherer machen könnten?
Nicht jeder Weihnachtsmarkt kann ein Hochsicherheitstrakt werden. Die Poller, die in Magdeburg genutzt wurden, hätte vermutlich nicht einmal ein größerer Laster mit hoher Geschwindigkeit wegreißen können. Aber sie müssen eben überall aufgestellt sein. Wenn die Sicherheitskonzepte lückenlos sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit für Anschläge sehr viel geringer. Das haben wir im Sommer bei der Fußball-EM gesehen.