Trotz „AfD-Beschimpfungen“ empfiehlt die AfD-Fraktionsspitze ihren 76 Abgeordneten, Unions-Anträgen im Bundestag zuzustimmen. Ihr Ziel ist ein größeres.
Kurz angebunden sind sie bei der Sitzung des AfD-Fraktionsvorstands am Montag vor der Tür, gut gelaunt sind sie dahinter. Lautes Lachen und fröhliches Stimmengewirr dringt auf den Flur. Die Ausgelassenheit hat einen Grund: Zum ersten Mal seit ihrem Einzug in den Bundestag vor acht Jahren hat die AfD Aussicht darauf, Mehrheitsbeschaffer nicht nur für einen, sondern gleich eine Reihe von Anträgen zu sein.
Endlich relevant im Bundestag. Und dann noch beim so wichtigen Thema Migration, dann noch bei Anträgen des größten Widersachers und zugleich ersehnten Koalitionspartners Union. Zum ersten Mal. Nicht nur für die AfD-Funktionäre, die von den anderen Parteien im Aufzug meist nicht einmal gegrüßt werden, wäre es ein Novum. Sondern für das ganze Land. Es wäre das Ende der Brandmauer im höchsten Parlament.
Diese Chance will die AfD-Spitze sich nicht entgehen lassen. Drei Anträge will die Union in dieser Woche einbringen, um die illegale Migration zu reduzieren: einen Entschließungsantrag für einen „Fünf-Punkte-Plan“, einen zur Inneren Sicherheit und einen Gesetzesantrag zur „Zustrombegrenzung“.
Die AfD-Fraktionsspitze empfiehlt ihren 76 Abgeordneten im Bundestag nun, ihnen zuzustimmen. Das bestätigen t-online mehrere Teilnehmer der Vorstandssitzung am Montag. Schließen sich auch FDP und BSW an, die bereits Entgegenkommen signalisieren, gehen die Anträge durch – nicht zuletzt dank der AfD.
Zwar verweist man bei der AfD darauf, dass die Anträge noch nicht in ihrer Endversion vorliegen, also auch die Zustimmung nicht in Stein gemeißelt sein könne. Eine Empfehlung der Spitze bedeute außerdem nicht, dass die Abgeordneten folgten. „Die Fraktion muss entscheiden!“, heißt es immer wieder. Die tagt wie üblich am Dienstagnachmittag – und dürfte zumindest noch ein wenig über das Thema beraten.
Inhaltlich hinderlich sei nämlich auf der einen Seite, dass zwei der Unions-Anträge gar keine große Wirksamkeit entfalten und eher Empfehlungen sind. Zu wenig, zu schwach, aus Sicht der AfD.
Auf der anderen enthalte der „Fünf-Punkte“-Antrag arg viele „AfD-Beschimpfungen“, wie sie in AfD-Kreisen heißen. Die Union hat sie nach einer ersten Welle der Kritik sehr explizit in das Papier hineingeschrieben. Dort heißt es zum Beispiel: „Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.“
Doch zumindest die AfD-Spitze will darüber hinwegsehen für den großen Coup: die Brandmauer einreißen, womöglich sogar gleich mit mehreren Anträgen in einer Woche. Sie könnte so, kurz vor der Wahl, Wirksamkeit zeigen wie nie zuvor. Und zugleich das deutliche Signal senden: Die AfD stelle das „Wohl des Landes“ über Befindlichkeiten der Partei – so jedenfalls formulieren es mehrere Gesprächspartner unisono.
AfD-Partei und Fraktionschefin Alice Weidel sagte Montag denn auch bei RTL/ntv, man könne mit solchen Spitzen gegen die AfD sehr gut umgehen. Das sei man gewohnt. Ihr sei es recht, wenn die CDU es endlich ernst meine mit einer seriösen Migrationspolitik. „Dem werden wir natürlich auch zustimmen.“
Selbst wenn nicht alle AfD-Abgeordneten bei allen Anträgen der Union mitziehen, dürfte es bei einem mindestens funktionieren: dem Antrag für ein „Zustrombegrenzungsgesetz“. Der nämlich ist sehr viel stärker und wirksamer als die anderen Anträge. Er wurde von der Union außerdem bereits im September erstmals eingebracht und schon im zuständigen Ausschuss behandelt. Deswegen könnte bereits am Freitag über ihn abgestimmt werden. Er enthält zudem für die AfD wichtige Punkte wie mehr Zuständigkeiten für die Bundespolizei und ein Ende für den Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten. Und: keine Spur von „AfD-Beschimpfungen“.