
In der Öffentlichkeit wird Tuchel als nüchterner Antreiber wahrgenommen, weniger als Charismatiker. Die englischen Fans respektieren ihn, aber sie lieben ihn nicht. Auch mit seiner kritischen Haltung gegenüber Superstar Jude Bellingham machte sich Tuchel angreifbar. Medien und Experten loben vor allem seine Klarheit: Rollen, Hierarchien und Erwartungen sind klar definiert.
Sportlich ist sein Einstand bislang erfolgreich. Die gelungene Qualifikation verschaffte ihm Rückhalt – zugleich wächst die Erwartung, dass Tuchel England auch taktisch auf das nächste Niveau hebt. Der Maßstab ist nicht die Vorrunde, sondern was danach kommt. Eigentlich muss der Titel her, sonst könnten die Diskussionen um Tuchel wieder aufflammen.
Unter Gareth Southgate spielte England meist in einem flexiblen, aber vorsichtigen System – häufig mit Dreierkette, tiefem Block und starker Absicherung. Kontrolle stand oft über Risiko, was England zwar stabil, aber in entscheidenden Spielen berechenbar machte.
Tuchel hat diesen Ansatz verändert. England spielt nun überwiegend aus einer Viererkette, mit klar definierten Rollen im Mittelfeld: Ein Sechser (vorwiegend Declan Rice) sichert ab, ein Achter spielt streng von Strafraum zu Strafraum, ein Zehner fungiert als zurückhängender oder eingerückter Offensivspieler hinter Mittelstürmer Kane.
Im Aufbau kippt situativ ein Innenverteidiger ins Mittelfeld, wodurch flexible Formationen wie ein 3-2-4-1 oder ein 4-1-4-1 entstehen. Entscheidend ist dabei das Gegenpressing: England soll nach Ballverlusten sofort attackieren, statt sich zurückzuziehen.
Der größte Unterschied zur Southgate-Ära liegt im Mut zum Tempo. Tuchel fordert vertikale Läufe, frühe Abschlüsse und Präsenz im Strafraum. Gleichzeitig bleibt das System stabil – Risiko ja, Kontrollverlust nein. Spannend wird auch, ob die Engländer wieder einmal ihrem ganz großen Trauma zum Opfer fallen: dem Elfmeterschießen.










