Streit mit Ukraine-Unterstützern
Doxing-Vorwurf: Justiz stellt Ermittlungen gegen Varwick ein
11.03.2025 – 11:42 UhrLesedauer: 3 Min.
Die Justiz wird nicht weiter gegen Politik-Professor Johannes Varwick ermitteln. Er hatte nach Informationen zur Identität eines proukrainischen X-Accounts gefragt und war angezeigt worden.
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ein Ermittlungsverfahren gegen Johannes Varwick eingestellt, weil sie keinen hinreichenden Tatverdacht gegen den Professor der Universität Halle-Wittenberg sieht. Varwick hatte mit einem Tweet Empörung unter Ukraine-Unterstützern ausgelöst. Genervt von einem Account, hatte er eine Art Erfolgsprämie für Hinweise dazu ausgelobt. Doch das war kein strafbares Handeln, so die Berliner Ermittlungsbehörde auf Anfrage von t-online.
Anlass für die Anzeige gegen Varwick und das darauf folgende Ermittlungsverfahren war eine Eskalation in einem zum Teil polemisch geführten Konflikt um Positionen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Varwick fiel auf mit Positionen, in denen er Verständnis für die russische Seite anmahnte. Dafür sah er sich auf X scharfer Kritik und auch zum Teil gut begründetem Widerspruch ausgesetzt.
Der Account @Lena4Berger gab ihm besonders ausdauernd Contra – nannte ihn etwa einen der „sich selbst bespiegelnden Quacksalber, die das Leid [der Ukrainer] nicht sehen können oder wollen“ und dessen Stellungnahmen „gleichgetaktet mit der Kreml-Propaganda“ erfolgten.
Varwick bezeichnete den Account dafür als Beispiel für „Untiefen in Social Media“ und „Trollfarmen in etlichen Varianten und auf allen Seiten“. @Lena4Berger sei ein Account, der „permanent unsachlich andere Auffassungen“ delegitimiere, „obsessiv auch mich“. Er zweifele, dass @LenaBerger eine reale Person sei, schrieb Varwick und bat um Hinweise: 500 Euro wolle er spenden, wenn die Existenz von „Lena Berger“ als reale Person zweifelsfrei bewiesen werden könne. Das war der Auslöser der späteren Anzeige, über die zuerst t-online berichtet hatte.
Varwick spekulierte dann noch, Lena Berger könne „Intelligence Milieu mit staatlicher Beteiligung“ sein, unterstellte also eine mögliche Geheimdienstverstrickung. Tatsächlich gibt es einerseits viele Nutzer, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mit ihrem echten Namen auftreten wollen – und auch andererseits Zigtausende prorussische Fake-Accounts, die von Dienstleistern des Kremls angelegt wurden. Von proukrainischen Accounts ist vergleichbares nicht bekannt.
Nach dem Tweet wurde ihm vielfach vorgeworfen, Doxing zu forcieren, die Preisgabe von persönlichen Daten gegen den Willen einer Person. Tausende Nutzer solidarisierten sich mit „Lena Berger“, darunter etwa der FDP-Politiker Marcus Faber, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, und der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. Der Hashtag #IchbinLenaBerger trendete. Und Varwick wurde angezeigt.
Die Anzeige kam von dem Regensburger Valentin Spernath, Vorsitzender des im April 2023 gegründeten Vereins Fellas for Europe. „Fellas“ ist die Eigenbezeichnung von Ukraine-Unterstützern im Netz. Der Verein unterstützt laut Eigendarstellung mit Spenden, Hilfstransporten und dem Kampf gegen Falsch- und Desinformationen die Ukraine. Spernath sagte t-online, er habe keinen Zweifel, dass es sich bei der Person hinter Lena Berger um eine Frau handele, er habe mit ihr Kontakt.
Der Würzburger Rechtsanwalt Chan-Jo Jun konnte zumindest etwas Licht ins Dunkel bringen: Er bestätigte, dass unter dem Account eine in seine Kanzlei gereiste Hamburger Akademikerin schreibt, deren Daten sich mit Informationen im Account decken. Die Anzeige gegen Varwick hatte sie, anders als von ihr angekündigt, nicht selbst erstattet. t-online erklärte sie, das hätte sonst den Schutz ihrer Identität gefährdet.
Die Anzeige war zunächst in München erstattet worden und hatte dort ein Aktenzeichen bekommen. Die Münchner Behörden hatten das Verfahren dann aber an die Berliner Staatsanwaltschaft abgegeben, weil diese örtlich zuständig sei. Ende Februar ist das Verfahren dort eingestellt worden, so ein Sprecher zu t-online.
Der Post erfülle einerseits nicht den Straftatbestand des Gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten – weil Varwick keine Daten verbreitet habe. Eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten liege auch nicht vor, weil der Tweet nicht erkennbar darauf abziele, die Adressaten unmittelbar zur Begehung bestimmter rechtswidriger Straftaten zu motivieren.
Varwick erklärt, er sei zu keiner Zeit von einer staatlichen Stelle jemals zu dem Strafverfahren befragt worden. Er schließt jetzt aus dem Ausgang, dass „Hintergründe, Motive und womöglich dahinterstehenden Netzwerke“ zu Lena Berger bedauerlicherweise einstweilen weiter im Dunklen bleiben würden.