Wer sich gegen Berufsunfähigkeit oder privat krankenversichern lassen will, entdeckt in seiner Krankenakte mitunter Diagnosen, die ihm bis dahin gar nicht bekannt waren – und die den Abschluss der Versicherung gefährden. Was Betroffene tun können.
Eigentlich sollte es so laufen: Alles, was in der Patientenakte vermerkt ist, zeichnet ein realistisches Bild der Gesundheit eines Menschen. Doch immer wieder berichten Betroffene von unzutreffenden Einträgen, die ihnen erst bewusst werden, wenn sie eine Versicherung abschließen wollen. Wie entstehen solche Fehldiagnosen, welche Konsequenzen drohen, und was können Patienten tun?
Dr. Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, bestätigt t-online: Ja, Fehldiagnosen kämen vor, „aber nicht grundsätzlich, um den Patienten zu schaden.“ Oft liege der Grund im Vergütungssystem des Gesundheitswesens. Gerade in Krankenhäusern sei der wirtschaftliche Druck groß, erklärt sie. Aber auch in Arztpraxen könne es passieren, dass Diagnosen „aufgepimpt“ werden, um die Vergütung zu erhöhen. „Im ambulanten Bereich erhält man für chronisch Kranke mehr Geld.“
Abgesehen vom wirtschaftlichen Druck können falsche Diagnosen in der Patientenakte laut Hecker auch durch echte Behandlungsfehler oder Flüchtigkeitsfehler in der Übertragung von Daten entstehen. Die Folgen können gravierend sein. „Denken Sie einmal an einen Notfall. Wenn falsche Diagnosen in der Akte stehen, werden dann womöglich auch darauf aufbauend falsche medizinische Entscheidungen getroffen“, warnt Hecker.
Aber auch wer eine private Kranken- oder Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen will, bekommt aufgrund unzutreffender Einträge schnell Probleme. Vor allem bei sogenannten F-Diagnosen, die auf psychische Erkrankungen hinweisen, kommen Versicherer oft zu dem Schluss, dass sie das Risiko nicht kalkulieren können und lehnen den Antrag ab.
„So etwas taucht bei uns fast täglich auf“, sagt der Versicherungsmakler Bastian Kunkel dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Etwa die Hälfte seiner Kunden habe Diagnosen in ihrer Krankenakte, von denen sie nichts wüssten. So ging es auch Sophie Riedinger. 2018 wurde in ihrer Patientenakte die Diagnose „F32.9“ vermerkt – eine „depressive Episode, nicht näher bezeichnet“, berichtet sie dem „Spiegel“. „Ich bin deswegen nicht behandelt worden, und es hat niemand mit mir darüber gesprochen“, sagt sie. Als sie 2024 in die private Krankenversicherung wechseln wollte, wurde sie abgelehnt. Auch ein freiwilliger Risikozuschlag half nicht.
In sozialen Medien berichten viele Menschen von ähnlichen Fällen. Einige fanden Einträge zu Epilepsie oder Diabetes Typ 1 in ihrer Akte, obwohl sie nie daran erkrankt waren. Eine junge Frau erfuhr erst beim Blick in ihre Daten, dass sie als suizidgefährdet galt. Etwa ein Viertel der Betroffenen ist laut Kunkel aufgrund solcher Einträge nicht mehr privat versicherbar.
Komplett hilflos sind Patienten aber nicht. Experten raten, die eigene Krankenakte regelmäßig zu prüfen. Seit Mitte Januar 2025 wird die elektronische Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Versicherten eingeführt, die nicht aktiv widersprechen. Die ePA könnte helfen, mehr Transparenz über die Einträge zu schaffen. Zudem haben Patienten das Recht, eine sogenannte Patientenquittung bei ihrem Arzt anzufordern. Diese listet alle Leistungen und Kosten auf, die Ärzte bei den Krankenkassen abrechnen.
Wer Ungereimtheiten entdeckt, sollte zunächst das Gespräch mit dem Arzt suchen, rät Constantin Papaspyratos, Chefökonom beim Bund der Versicherten. „Falls der Arzt noch praktiziert, sollte man ihn direkt darauf ansprechen und um eine Klärung bitten.“ Handelte es sich beispielsweise nur um eine Verdachtsdiagnose, könne der Arzt das in einem aktuellen Attest richtigstellen.
Papaspyratos warnt zudem davor, Versicherungen auf eigene Faust abzuschließen – etwa online über Vergleichsportale: „Ich rate dringend davon ab, dass Sie einfach Ihre Arztunterlagen nehmen und den Antrag rausschicken. Das kann zu Ablehnungen führen, die vermeidbar gewesen wären.“ Besser sei es, sich zunächst von einem spezialisierten Versicherungsberater oder -makler beraten zu lassen. Mit diesem könne man in Ruhe seine gesamte Krankengeschichte durchgehen.
So könnten etwa Krankschreibungen aufgrund belastender Arbeitssituationen, die zu Einträgen mit psychischen Diagnosen geführt haben, als vorübergehende Phasen ohne langfristige Erkrankung erkannt werden. „An der Stelle kann man vieles noch retten, weil der Versicherer ein sauberes Gesamtbild bekommt“, sagt Papaspyratos.
Zudem sei es ratsam, eine sogenannte Risikovoranfrage zu stellen. Viele Versicherungen speichern die Antworten auf die Gesundheitsfragen, die man bei Interesse an einer Berufsunfähigkeits- oder privaten Krankenversicherung wahrheitsgemäß beantworten muss, in einer gemeinsamen Datenbank. Lehnt Sie ein Versicherer aufgrund von Vorerkrankungen ab, könnte das beim nächsten Mal ohne weitere Prüfung erneut passieren, wenn er Zugriff auf Ihre Angaben hat. Mit einer Risikovoranfrage können Sie hingegen anonym testen, welcher Anbieter Sie versichert – oder aus welchen Gründen genau ablehnt.