Jeden Tag beantwortet ein Experte aus der t-online-Ratgeberredaktion eine Leserfrage rund ums Geld. Heute: Was bedeutet eine Schenkung für die spätere Erbschaft?
Mit dem eigenen Vermögen darf jeder machen, was er oder sie will – zum Beispiel es schon zu Lebzeiten nur einem seiner Kinder zukommen lassen. Doch was bedeutet das für eine spätere Erbschaft?
Das fragt sich eine t-online-Leserin, deren Schwester das Haus der Eltern als Schenkung überlassen bekommen hat. Inzwischen sind die Eltern gestorben und die Leserin möchte wissen: „Wird das Haus bei der jetzigen Erbschaft berücksichtigt oder erbt meine Schwester zweimal?“
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Das kommt ganz darauf an, was die Erblasser – also in diesem Fall die Eltern – verfügt haben. Greift lediglich die gesetzliche Erbfolge, weil es kein Testament gibt, hätte die Schenkung an die Schwester auch keine Auswirkungen auf ihr Erbe. Sie würde also zweimal vom Vermögen der Eltern profitieren – ganz ohne Abzüge beim Erbe.
Gibt es hingegen ein Testament oder einen Erbvertrag, in dem die Schwester enterbt wird, hat sie nur noch Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil. Dieser beläuft sich stets auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und wird in Geld ausgezahlt. Mehr zum Pflichtteil beim Erbe lesen Sie hier.
Nehmen wir an, es lebte zuletzt nur noch die Mutter der Leserin. Gehen wir weiter davon aus, dass sie die Schwester der Leserin enterbt hat und ein Vermögen von 100.000 Euro hinterlässt. Unter normalen Umständen würden beide Töchter 50.000 Euro erben. Da die eine Tochter jedoch enterbt wurde, steht ihr nur der Pflichtteil zu, also 25.000 Euro. Die t-online-Leserin würde in diesem Beispiel dann die restlichen 75.000 Euro erben.
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Wurde die Schwester im Testament oder im Erbvertrag nicht nur enterbt, sondern haben die Eltern zusätzlich angeordnet, dass das geschenkte Haus auf den Pflichtteil angerechnet wird, wird die Schenkung von diesem abgezogen. Im Beispiel oben würde von den 25.000 Euro also nichts mehr übrig bleiben.
Wichtig: Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) können Schenkungen nur dann auf den Pflichtteil angerechnet werden, wenn der Erblasser das ausdrücklich bestimmt hat (BGH, Urteil vom 23. Mai 2012 – IV ZR 250/11). Fehlt eine solche Anordnung, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Die enterbte Schwester würde also ihren vollen Pflichtteil von 25.000 Euro erhalten.
Eine Schenkung zu Lebzeiten kann aber auch noch auf andere Weise Folgen für die spätere Erbschaft haben. Und zwar dann, wenn es weitere enterbte Familienangehörige gibt. Da eine Schenkung vorab das Vermögen der Erblasser schmälert und damit auch das spätere Erbe, sinkt durch die Zuwendung auch der Pflichtteil von Enterbten.
Um das abzufedern, gibt es den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch. Der Pflichtteil fällt also höher aus. Wie viel höher, hängt davon ab, wie lange die Schenkung bereits zurückliegt. Dabei gilt:
- Wurde das Haus bereits vor mehr als zehn Jahren an die Schwester übertragen, bleibt es unberücksichtigt – es gibt keine Pflichtteilergänzung für das weitere enterbte Familienmitglied.
- Wurde das Haus innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall verschenkt, wird die Zuwendung anteilig berücksichtigt. Je länger sie zurückliegt, desto geringer ist der Anteil, der in die Berechnung des Ergänzungsanspruchs einfließt – und desto weniger stark steigt der Pflichtteil des weiteren enterbten Familienmitglieds.
Zeitpunkt der Schenkung | Berücksichtigung der Schenkung |
---|---|
Im 1. Jahr vor Erbfall | 100 Prozent |
Im 2. Jahr vor Erbfall | 90 Prozent |
Im 3. Jahr vor Erbfall | 80 Prozent |
Im 4. Jahr vor Erbfall | 70 Prozent |
Im 5. Jahr vor Erbfall | 60 Prozent |
Im 6. Jahr vor Erbfall | 50 Prozent |
Im 7. Jahr vor Erbfall | 40 Prozent |
Im 8. Jahr vor Erbfall | 30 Prozent |
Im 9. Jahr vor Erbfall | 20 Prozent |
Im 10. Jahr vor Erbfall | 10 Prozent |
Im 11. Jahr vor Erbfall | 0 Prozent |
Fand die Schenkung zum Beispiel im Jahr vor dem Tod des Erblassers statt, wird sie zu 100 Prozent angerechnet und für den Pflichtteilergänzungsanspruch berücksichtigt. Das heißt, andere Familienmitglieder erhalten genauso viel Geld als Pflichtteil wie sie bekommen hätten, wenn es die Schenkung nie gegeben hätte.
Der Abschlag sinkt mit jedem Jahr, das die Zuwendung länger zurückliegt, um weitere zehn Prozentpunkte. Im zehnten Jahr vor dem Erbfall würde das geschenkte Haus also nur noch mit zehn Prozent seines Werts für den Ergänzungsanspruch berücksichtigt.
Gut zu wissen: Wurde gleichzeitig mit der Schenkung des Hauses ein Nießbrauchrecht vereinbart, greift eine Sonderregel. Lesen Sie hier, worin die besteht.