Kleine Erledigungen während der Arbeitszeit – erlaubt oder Betrug? Und was ist eigentlich der Stand bei der Arbeitszeiterfassung? Diese Regeln sollten Sie kennen.
Mehr als 70 Prozent aller Beschäftigten nutzen die Arbeitszeit auch für private Erledigungen. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Consumerfieldwork. Wer sich aber beim Gang zum Bäcker oder beim Aufhängen der Wäsche im Homeoffice nicht ausstempelt, riskiert rechtliche Konsequenzen.
Andersherum arbeiten Beschäftigte oft länger, als sie eigentlich dürfen – und das aus freien Stücken. Wir erklären, welche privaten Tätigkeiten als Arbeitszeitbetrug gewertet werden können, wann Arbeitnehmer ungewollt gegen den Arbeitsschutz verstoßen und ob sich Unternehmen strafbar machen, wenn sie noch immer keine Arbeitszeiterfassung eingeführt haben.
„Es gibt klare Indizien für die Abgrenzung zwischen tolerierbaren Pausen und Arbeitszeitbetrug, allerdings hängt dies stark von der Betriebskultur ab. Was in einem Unternehmen noch entspannt gehandhabt wird, kann in einem anderen bereits zum Problem werden“, sagt Frederik Neuhaus, Geschäftsführer und Mitgründer von Clockin. Das Tech-Start-up aus Münster hat bisher rund 5.000 Unternehmen bei der digitalen Zeiterfassung unterstützt, darunter WMF oder Schwäbisch Hall Wohnen.
Grundsätzlich gehörten Tätigkeiten wie der Toilettengang oder das kurze Holen eines Getränks zur Arbeitszeit. „Ein Telefonat mit einer Freundin oder einem Freund sollte hingegen eher als Pause erfasst werden“, rät Neuhaus. Auch aus Fairnessgründen sollten Arbeitnehmer ihre Zeiten sauber dokumentieren.
„Wenn ein Raucher sich drei- bis viermal täglich für jeweils zehn Minuten nicht ausstempelt, hat er eine halbe Stunde mehr Pause als ein Nichtraucher. Das kann zu Spannungen führen.“ Offiziell sei die Raucherpause keine Arbeitszeit. In vielen Betrieben gebe es jedoch stillschweigende Regelungen, die seit Jahrzehnten bestehen. „Das macht es schwierig, neue Regelungen durchzusetzen“, so Neuhaus. Lesen Sie hier, welches Recht Nichtraucher haben, wenn Raucher ihre Pausen nicht nacharbeiten müssen.
Auch das Homeoffice mag dazu verlocken, nebenbei ein paar Hausarbeiten zu erledigen. Kurz die Spülmaschine ausräumen, Pasta in den Topf werfen oder die Waschmaschine anstellen – ob das toleriert wird, ist ebenfalls stark von der Unternehmenskultur abhängig. „Rein juristisch ist klar: Arbeitszeit ist nicht dafür da, um die eigene Wäsche aufzuhängen“, sagt Neuhaus. „Manche Arbeitgeber sehen es jedoch als Teil einer Wohlfühlpolitik, erwarten aber im Gegenzug, dass an anderer Stelle länger gearbeitet wird.“
Was sind andersherum typische Verstöße gegen den Arbeitsschutz?
Der Klassiker ist, dass die tägliche Höchstarbeitszeit überschritten wird. „Das passiert häufig, obwohl es langfristig die Produktivität verringert und gesundheitlich schädlich ist“, so Neuhaus. Auch gesetzliche Ruhezeiten werden oft nicht eingehalten. So müssen zwischen zwei Arbeitstagen mindestens elf Stunden Ruhezeit liegen.
Manche Arbeitnehmer verstoßen auch selbst gegen den Arbeitsschutz – oft in Unkenntnis der rechtlichen Vorschriften. Das ist etwa der Fall, wenn sie nach sechs Stunden Arbeit keine Pause machen. Auch wer die Pause komplett weglässt, um am Ende des Arbeitstages früher zu gehen, verstößt gegen den Arbeitsschutz. „Ein gutes Zeiterfassungssystem sollte Arbeitnehmer darauf hinweisen, wenn sie zu lange arbeiten oder Pausen nicht einhalten“, sagt Neuhaus.
Kritisch sieht er zudem, dass in vielen Unternehmen Arbeitszeiten weiterhin auf Papier oder in Excel-Tabellen dokumentiert würden. „Selbst manche großen Unternehmen arbeiten noch mit handschriftlichen Stundenzetteln. Das ist nicht nur fehleranfällig, sondern teuer, weil es der Lohnbuchhaltung enorm viel Arbeit macht.“
Theoretisch ja. Der Europäische Gerichtshof hat 2019 entschieden, dass Unternehmen eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung haben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dies 2022 für Deutschland bestätigt. Demnach lässt sich die Pflicht zur Erfassung bereits aus dem Arbeitsschutzgesetz herleiten.
Auch das Bundesarbeitsministerium weist auf seiner Webseite darauf hin, dass Arbeitgeber nicht warten dürften, bis das Arbeitszeitgesetz an die Rechtsprechung angepasst ist. „Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 13. September 2022 verbindlich festgestellt, dass auch in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist. Das ist laut BAG bereits heute geltendes Recht“, heißt es beim Arbeitsministerium.
Unternehmen, die sich nicht daran halten, riskieren ein Bußgeld von bis zu 30.000 Euro. Für die Kontrollen sind zum Beispiel die Gewerbeaufsichtsämter der Länder verantwortlich. In der Praxis gibt es bisher jedoch wenige Fälle, in denen es Konsequenzen für Unternehmen gab.
Bekannt ist etwa der Fall eines deutschlandweit tätigen Outdoorunternehmens, der 2024 vor dem Verwaltungsgericht Hamburg verhandelt wurde. Das Amt für Arbeitsschutz hatte nach einer unangekündigten Betriebsbesichtigung angeordnet, dass die Arbeitsstunden aller Beschäftigten nachvollziehbar aufgezeichnet werden müssten. Team- und Abteilungsleiter waren zu dem Zeitpunkt davon ausgenommen. Das Unternehmen war jedoch der Auffassung, für eine solche Anordnung fehle es an einer gesetzlichen Grundlage, und klagte – ohne Erfolg.