Lebensmittelpreise, Krankenkassenbeiträge und soziale Pflegeversicherung: Die Kosten sind für viele Rentner kaum mehr zu stemmen – regionale Unterschiede spielen dabei eine große Rolle.
Immer mehr Rentner in Deutschland sind armutsgefährdet. Das geht aus neuen Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hatte die Daten angefragt, das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtete darüber. Demnach steigt die Zahl der armutsgefährdeten über 65-Jährigen auf 19,6 Prozent. Der Anstieg von 1,2 Prozentpunkten im Vergleich zu 2023 bedeutet eine Zunahme um rund 300.000 Menschen auf 3,54 Millionen.
Diese Zahlen müssten allerdings eingeordnet werden, sagt Sven Stadtmüller, Professor für gesundheitsbezogene empirische Sozialforschung an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Göttingen auf Anfrage von t-online. In den vergangenen 30 Jahren ist die Anzahl der ausgezahlten Renten in Deutschland stetig gestiegen und liegt laut Deutscher Rentenversicherung mit 25,96 Millionen im Jahr 2023 auf einem neuen Höchststand. „Es gibt so viele von Armut bedrohte Rentner wie nie zuvor, weil es aktuell auch so viele Rentner gibt wie nie zuvor.“
Eine Person gilt als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. 2024 lag dieser Schwellenwert für einen Alleinlebenden bei 1.378 Euro netto im Monat, für Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren betrug er 2.893 Euro.
Zwar steige auch unter den Rentnern die Zahl der von Armut bedrohten Menschen. Doch das sei laut Stadtmüller keine neue Entwicklung, sondern habe bereits in den 2010er-Jahren begonnen. „2013 waren noch 15,0 Prozent der Rentner von Armut betroffen, 2018 bereits 18,7 Prozent. Diese Entwicklung hat damit zu tun, dass in dieser Zeit die Kaufkraft der Rentner zurückging. Seither sind die Renten aber im Schnitt etwas stärker angestiegen als die Verbraucherpreise. Das heißt zusammenfassend: Altersarmut ist in Deutschland noch nicht so verbreitet, wie es häufig dargestellt wird.“
Aktuell liegt die Durchschnittsrente für einen Arbeitnehmer nach 45 Jahren bei 1.769,40 Euro brutto pro Monat. Für Frauen fällt die Rente oft um einiges niedriger aus. Laut Statistischem Bundesamt lag das geschlechtsspezifische Gefälle bei den Alterseinkünften – auch Gender Pension Gap genannt – 2023 bei 27,1 Prozent. Gut jede fünfte Frau ab 65 galt im Jahr 2023 als armutsgefährdet.
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Auch der Standort beeinflusst die Armutsgefährdung. In Ostdeutschland ist die Armutsbedrohung laut Zahlen von Statista aus dem Jahr 2023 höher als in Westdeutschland. In großen Städten macht die armutsgefährdete Personengruppe fast zwei Drittel der Bevölkerung aus, in eher ländlichen Gebieten ist es nur knapp die Hälfte. Das Gefälle erklärt sich unter anderem durch die höheren Lebenshaltungskosten in Großstädten.
Aber auch die Bevölkerung spielt eine Rolle. „In Städten leben mehr Menschen, die ein überdurchschnittliches Armutsrisiko aufweisen, zum Beispiel Menschen mit Migrationsgeschichte, aber auch Studierende, wenngleich diese häufig nur temporär von Einkommensarmut betroffen sind“, so Sven Stadtmüller.
Die relative Einkommensarmut bezeichnet den Anteil der Personen, die ein Einkommen von weniger als 60 Prozent des gesamtdeutschen Medianeinkommens haben – also unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze liegen.
Bei der Kaufkraftarmut werden regionale Unterschiede einbezogen. Sie gibt den Anteil der Personen mit einem Einkommen von weniger als 60 Prozent des regional preisbereinigten deutschen Medianeinkommens an.
Auf dem Land fehlen Hilfsangebote
Doch auch auf dem Land leben viele von Armut bedrohte Menschen. Während der Wohnraum in ländlichen Regionen zwar günstiger ist als in der Stadt, schlagen auf dem Land vermehrt Mobilitäts- und Stromkosten zu Buche. „Anzunehmen ist, dass sich die Gestalt von Armut insgesamt und somit auch die von Altersarmut zwischen Stadt und Land unterscheidet. In der Stadt ist sie womöglich sichtbarer, auf dem Land häufiger verdeckt. Soziale Kontrolle ist hier das Stichwort: Auf dem Land kennt man sich und spricht mit-, aber auch übereinander. Da versucht man womöglich eher, Armut zu kaschieren“, erklärt Stadtmüller.
In kleinen Gemeinden könne das engere soziale Netzwerk zwar dazu führen, dass von Altersarmut betroffene Menschen von Bekannten und Nachbarn unterstützt werden. Die Stadt bietet allerdings ein weitaus größeres Angebot an Hilfsmitteln, wie Stadtteilzentren, Selbsthilfegruppen und gesetzliche Betreuer. In ländlichen Regionen ist die fehlende Infrastruktur für viele Menschen ein großes Problem, wie aus einer Pilotstudie des Instituts für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen hervorgeht.
Laut Prognosen wird die Altersarmut in den kommenden Jahren immer weiter steigen. Eine Simulationsstudie der Bertelsmann-Stiftung hat ergeben, dass weiterhin vor allem Personen mit geringer Bildung, alleinstehende Frauen, von Langzeitarbeitslosigkeit betroffene Menschen und Personen mit Migrationshintergrund zur Risikogruppe zählen werden. Das Ost-West-Gefälle werde dagegen noch größer. Bis 2036 soll sich das Armutsrisiko für Neurentner in Ostdeutschland im Vergleich zu denen im Westen fast verdoppeln.
Auch Sven Stadtmüller sieht das Problem in der Zukunft: „Altersarmut wird eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Einerseits, weil sich der Kostendruck auf die gesetzliche Rentenversicherung durch den Renteneintritt der vielen Babyboomer in den nächsten Jahren massiv erhöhen wird. Und andererseits, weil in Zukunft mehr und mehr Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und ohne üppige Betriebsrenten in den Ruhestand überwechseln werden.“