Rückenschmerzen plagen Millionen Deutsche. Viele greifen deshalb vorschnell zu Medikamenten oder lassen sich operieren. Dabei zeigt die Forschung: Neuere Therapieansätze taugen meist viel mehr.
Fast jeder kennt sie – Schmerzen im Rücken. Manchmal äußern sie sich nach langem Sitzen als Druck an der Wirbelsäule. Manchmal ist der Nacken verspannt oder es zieht im Kreuz.
Experten schätzen, dass bis zu 85 Prozent aller Deutschen im Laufe ihres Lebens von solchen Beschwerden betroffen sind. Etwa jeder vierte Bundesbürger sucht jährlich wegen Rückenschmerzen einen Arzt auf. Akute Beschwerden lassen zwar oft nach einigen Wochen nach. Doch bei vielen kehren die Schmerzen immer wieder zurück – manche Patienten leiden chronisch darunter.
Seit Jahrzehnten versuchen Forscher und Mediziner dem Rückenschmerz auf den Grund zu gehen – und die bestmöglichen Therapien zu finden. Doch in der Praxis verlieren sich viele in einem Dickicht aus Behandlungsmöglichkeiten: Physiotherapie, Massagen, Wärmebehandlung, Kältebehandlung, alternative Heilmethoden wie Akupunktur oder psychotherapeutische Verfahren sind hierfür einige Beispiele.
Einige Ärzte greifen zum Messer und operieren das fragile System aus Wirbeln, Bändern und Muskeln – obwohl längst erwiesen ist, dass Rückenschmerzen nur äußerst selten eindeutig auf ein Problem der Wirbelsäule zurückzuführen sind. Die Zahl solcher Eingriffe ist im Ländervergleich hierzulande weiterhin hoch – ebenso die Rückfallquote. Bei den meisten Patienten kehren die Schmerzen im Durchschnitt innerhalb eines Jahres wieder zurück. Das belegt unter anderem eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung.
Während in Deutschland weiter intensiv operiert wird, zeigen australische Forscher andere Wege auf: Sie setzen erfolgreich auf eine ganzheitliche Methode zur Behandlung chronischer Kreuzschmerzen. Laut Studienautor Chris Williams von der University of Sydney werden Rückenschmerzen in den meisten Fällen falsch behandelt oder durch übliche Methoden nur unzureichend angegangen: „Unsere Körper sind keine Maschinen, sondern eher Ökosysteme“, sagte er laut einer Pressemitteilung. „Wenn also jemand Rückenschmerzen hat, die nicht besser werden, sollte er eine umfassende Behandlung bekommen. Der Fokus sollte nicht nur darauf gerichtet sein, was in seiner Wirbelsäule vor sich geht.“
Williams‘ Team rekrutierte 346 Probanden mit chronischen Rückenschmerzen und mindestens einem Risikofaktor wie Fettleibigkeit oder Bewegungsmangel. Diese wurden entweder standardmäßig physiotherapeutisch behandelt oder nahmen am „Healthy Lifestyle Program“ (HeLP) teil – einem Programm mit personalisierten Lebensstiländerungen, unterstützt durch Physiotherapeuten sowie Ernährungs- und Gesundheitsberater.
Die HeLP-Gruppe erhielt sechs Monate lang gezielte Ratschläge zur Vermeidung ihrer Risikofaktoren wie schlechte Ernährung oder mangelnder Schlaf. Das Ergebnis war erstaunlich: Teilnehmer dieser Gruppe litten deutlich weniger unter Rückenschmerzen als diejenigen, die klassisch behandelt wurden.
Williams betonte: „Zu viele werden zu OPs überwiesen oder bekommen Medikamente verschrieben, die nicht helfen – oder sogar noch Schaden anrichten.“ Immer mehr Studien zeigten, dass Bandscheibenvorfälle und Gelenkverschleiß selten die Ursache für langfristige Rückenschmerzen seien.
Immer deutlicher wird, dass Rückenschmerzen nicht allein durch ärztliche Behandlung gelöst werden können. Vielmehr liegt es in der Hand der Betroffenen, selbst aktiv zu werden und den Lebensstil anzupassen. Wer körperliche Belastungen reduziert, auf seine seelischen Bedürfnisse achtet und gezielt die Rückenmuskulatur stärkt, kann oft eine spürbare Linderung der Beschwerden erreichen – ganz ohne Medikamente oder Operationen.
In Deutschland entstehen zunehmend spezialisierte Rückenzentren, in denen Teams aus Physiotherapeuten, Psychologen und Schmerzmedizinern zusammenarbeiten. Diese betrachten den Patienten ganzheitlich und entwickeln Therapiepläne, die von gezielten Kräftigungsübungen bis hin zu effektiven Strategien zur Stressbewältigung reichen. So werden nicht nur die körperlichen Ursachen der Beschwerden behandelt, sondern auch deren alltägliche Einflussfaktoren berücksichtigt.