Deutsche Geschichte
„Als ob es gestern wäre“: 80 Jahre nach Auschwitz
Aktualisiert am 26.01.2025 – 08:53 UhrLesedauer: 4 Min.
Das Grauen des Holocaust wirklich zu verstehen, fällt heute schwer. Aber wegsehen ist keine Option, findet nicht nur die Überlebende Margot Friedländer. Sie hat eine starke Botschaft.
Margot Friedländer ist eine der Letzten, die den Holocaust überlebt haben und noch davon berichten können. „Für mich ist es, als ob es gestern wäre“, sagt die 103-Jährige, wenn man sie nach der Befreiung des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz vor 80 Jahren fragt. „Wir haben es erlebt. Wir sind, wir wissen, was, wie es war.“
Sie selbst war damals Gefangene im KZ Theresienstadt. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden in Auschwitz ermordet. „Ich habe meine ganze Familie verloren“, sagt die zerbrechlich wirkende kleine Frau in ihrer Berliner Wohnung. Auf dem Tisch hinter ihr stehen Preise für ihre Versöhnungsarbeit, ein „Bambi“ für ihren Mut, Fotos mit Politikern, ein gerahmtes Titelbild von ihr auf der „Vogue“.
Friedländer hat ihre Geschichte oft erzählt, seit sie mit fast 90 Jahren aus dem amerikanischen Exil in ihre Heimat Berlin zurückkehrte. Sie will es weiter tun, auch wenn ihre Stimme brüchig wird. „Weil ich versuche, euch klarzumachen, was gewesen ist, dass wir das nicht mehr ändern können, dass es aber für euch ist, dass es nicht wieder passieren darf. Das ist meine Mission.“
Am 27. Januar 1945 erreichten sowjetische Soldaten das deutsche Vernichtungslager Auschwitz im von der Wehrmacht besetzten Polen. Sie fanden etwa 7.000 Überlebende. 1,3 Millionen waren in das Lager verschleppt worden. Etwa 1,1 Millionen von ihnen wurden getötet – ermordet in Gaskammern oder erschossen oder zugrunde gerichtet durch Arbeit, Hunger, Krankheit. Unter den Ermordeten waren eine Million Juden. Diese Fakten listet die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau auf. Zum 80. Jahrestag wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dort wieder an sie erinnern.
Und doch sind sie kaum zu erfassen im Jahr 2025. „Mehr als eine Million Tote in Auschwitz, ungefähr sechs Millionen Tote des Holocaust: Das sind Zahlen eines monströsen Verbrechens, mit denen niemand etwas anfangen kann“, weiß Andrea Löw, Leiterin des Münchner Zentrums für Holocaust-Studien. Verstehen können Nachgeborene vielleicht wirklich nur einzelne Schicksale, wie das der Berlinerin Margot Friedländer, die als junge Frau geächtet, verhaftet und verschleppt wurde. „Das waren Menschen wie Sie und ich, die aus ihrem Leben gerissen wurden“, sagt Löw. „Diese Geschichten müssen wir erzählen.“
Auschwitz, das ist auch eine Chiffre der deutschen Nachkriegsgeschichte für Scham und Verdrängung, für Erinnerung und Entsetzen. „Ich finde es zunehmend schwierig, davon zu sprechen, die Planung und Durchführung des Holocaust seien „unvorstellbar“ oder „nicht zu verstehen““, sagt Deborah Hartmann, Leiterin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz. Dort berieten hochrangige Vertreter des NS-Regimes 1942 über die Vernichtung der europäischen Juden im industriellen Maßstab.
Dieser Zivilisationsbruch stelle unsere Kategorien infrage, sagt Hartmann. „Heute wird aber mit dem Hinweis auf das „Unvorstellbare“ die historische Distanz noch vergrößert.“ Alle Schritte im bürokratisch geplanten Massenmord ließen sich durchdringen. „Die Taten sind nicht „außerweltlich““, sagt Hartmann.
Der Historiker Hanno Sowade hat die Ausstellung „Nach Hitler“ gestaltet, die noch bis Januar 2026 im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen ist. „Es ist eines der schwierigsten Themen, die ich je kuratiert habe“, räumt Sowade ein. „Es prägt Deutschland und die Deutschen seit 80 Jahren“.